Samstag, 26. Oktober 2024

Himmel-Hölle, evangelisch gelesen

Ein Zitat

Fresko von Lombardo und Cristoforo da Seregno im Oratorium von Morcote.
Foto © Jörg Niederer
"Unsere Sprache ist eindringlich, wenn unser Tun redet. Ich beschwöre euch daher: lasst doch euren Mund verstummen und eure Taten reden." Antonius von Padua (1195-1231)

Ein Bibelvers - Lukas 5,10

"Jesus sagte zu Simon: 'Hab keine Angst! Von jetzt an wirst du ein Menschenfischer sein!'"

Eine Anregung

Auf halbem Weg hinauf zur Kirche von Morcote steht ein Gebetshaus an einem alten Saumpfad nach Lugano. Es gehörte wohl einst zu einem Hospiz der Mönche des Antonius. Im Inneren findet sich das hier abfotografierte Fresko, Mitte des 15. Jahrhunderts geschaffen von Lombardo und Cristoforo da Seregno. Es handelt sich wohl um ein Ablassbild, das für ein Fischerdorf sehr passend die Verstorbenen zeigt, wie sie in den Netzen der Teufel festhangen und dort auch herausgerettet werden können durch die Gaben der Lebenden. So steht in der Kapelle auch ein Kasten, in dem "Almosen für die Seelen im Fegefeuer" eingeworfen werden können.

Auch als Allegorie des Jüngsten Gerichts kann dieses Werk gelesen werden, oder als Kampf von Himmel und Hölle um die Seelen der Verstorbenen.

Mir als evangelischem Christ kommt sofort auch die Metapher von den Menschenfischern in den Sinn. Simon Petrus, der Fischer, wir mit dieser Beauftragung von Jesus in seine Nachfolge gerufen.

Es bräuchte nur wenig Änderungen am Fresko für diese Leseart. Die Dämonen wären in meinem Bild ausgetauscht gegen die Fischer-Jünger Jakobus, Johannes, und Simon Petrus. Diese halten kein Fang- sondern ein Rettungsnetz in den Händen, an dem sie Menschen aus dem Abgrund ihrer Verstrickungen herausretten. Schlussendlich werden die Geretteten durch Engel voller Freude dem Himmel entgegengetragen, ganz im Sinn von Lukas 15,7: "Genauso freut sich Gott im Himmel über einen Sünder, der sein Leben ändert. Er freut sich mehr als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben, ihr Leben zu ändern."

So also sähe mein gedanklicher Minibildersturm aus: Befreit von den Dämonen. Ach ja, und Gott würde bei mir auf dem Fresko auch nicht aussehen wie Maharishi Mahesh Yogi, diesem 2008 verstorbene indische Guru vom Seelisberg.

Wie Gott bei mir aussehen würde? Schwierige Frage!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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