Samstag, 5. Oktober 2024

Erntearbeitende und andere Fremde

Ein Zitat

Erntehelfer pflücken am frühen Morgen mitten in Frauenfeld Fenchel von einem Feld.
Foto © Jörg Niederer
"Schau dir das Wort 'Fehler' einmal genauer an. Darin verbirgt sich das Wort 'Helfer'! Denn ein Fehler ist immer nur ein Hinweisgeber, der dich daran erinnert, dass etwas noch nicht so ist, wie es sein sollte." Claudia Klein

Ein Bibelvers - 1. Mose 3,19

"Im Schweisse deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst. Denn aus ihm bist du gemacht: Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück."

Eine Anregung

Nicht weit von unserer Wohnung, direkt hinter der Schule Oberwiesen, ist ein grösseres Stück Land noch unbebaut, und wird von einem Bauern bewirtschaftet. Zum ersten Mal in den 15 Jahren wächst dort auf einem Teil des Feldes Fenchel. Gestern morgen nun sah ich sie. Die Erntehelfer, die in den vergangenen zwei Wochen nach und nach Teile des Feldes abgeerntet haben. Sieben Personen, dazu wohl noch einer auf dem Traktor, kommen am frühen Morgen zum Einsatz. Flink sind sie, wie sie in gebückten Haltung ihre Arbeit tun, die mir schon vom Zuschauen Rückenschmerzen bereitet. Aus Erfahrung weiss ich, dass es wohl Arbeitsmigranten sind - oder wie sie auch genannt werden - "Familienfremde Arbeitnehmende", die hier auf den Bauernbetrieben zum Einsatz kommen. Für sie ist das tiefe Gehalt von 20-25 Franken pro Stunde oder 3385.- pro Monat immer noch lohnend. In ihrer Heimat würden sie dreimal weniger verdienen. Für Einheimische reicht dieser Lohn aber hinten und vorn nicht aus. 

Gerade laufen wieder Verhandlungen mit der EU, in der es auch darum geht, die Einwanderung zu begrenzen. Das Asylrecht wurde in den vergangenen Jahren fast im Jahresrhythmus verschärft, auch das, um die - wie es heisst - illegale Einwanderung zu verhindern. Diese Gesetze haben tödliche Konsequenzen. Immer mehr Menschen verlieren auf der Flucht das Leben oder werden Opfer von Menschenhandel.

Der Fenchel, den ich morgen vielleicht in Migros, Aldi, Coop oder Lidl kaufe, hat viel mit diesen Menschen zu tun, die auf der Strecke bleiben, nicht willkommen sind oder im Tieflohnsektor arbeiten müssen. Ohne sie könnten wir unseren Wohlstand nicht halten. 

Ich will am heutigen Tag besonders für Erntehelferinnen und Erntehelfer beten. Auch für die Fremden in unserer Mitte und die, welche wie sie ihre Liebsten zurücklassen, um in der Schweiz ihr Glück zu versuchen. Auch bete ich für die vielen unbegleiteten Jugendlichen und für die Sans Papiers, deren Kinder zwar in die Schule gehen dürfen, aber sonst kaum eine Perspektive für die Zukunft haben. Und ich bete für die Schweiz, dass sie endlich wieder ihrer humanitären Tradition gerecht wird.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 4. Oktober 2024

Auf dem Wiboradaweg in die Wiboradazelle

Ein Zitat

Neu errichteter Brückenteil des Wiboradawegs vor der Kirche St. Mangen in St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Es war ein sehr emotionaler Tag." Iso Senn, Architekt und treibende Kraft hinter dem Wiboradaweg

Ein Bibelvers - Johannes 1,51

"Und er [Jesus] sagte zu ihm: 'Amen, amen, das sage ich euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen. Und die Engel Gottes werden vom Menschensohn zum Himmel hinaufsteigen und von dort wieder zu ihm herabsteigen!'"

Eine Anregung

In der Nacht auf Montag wurde eine weitere Brücke in der Stadt St. Gallen aufgestellt. 35 Tonnen, 32 Meter, 3 Grad Gefälle, ein 250-Tonnen-Mobilkran, 50 Expertinnen und Experten und noch mehr, das sind die wichtigsten Zutaten für die Präzisionsarbeit zur Geisterstunde. Nun steht also ein Teilstück des Wiboradawegs in luftiger Höhe und führt über die vielbefahrene Hauptstrasse. Beim St.-Mangen-Park geht es aktuell noch nicht weiter. Aber das wird schon noch.

Seit 1998 gibt es Pläne für eine Verbindung zwischen unterem Rosenberg und Stadtzentrum. Jetzt wird sie Wirklichkeit. Ob man den Weg über die Passerelle wohl damals schon nach der Stadtheiligen Wiborada benannt hätte? Diese Inklusin spielt erst seit einigen Jahren wieder eine Hauptrolle nebst den anderen Stadtheiligen Gallus und Otmar. Ich habe verschiedentlich schon über sie geschrieben. Da der Weg nahe an den Ort führt, an dem Wiborada eingeschlossen in einer Hütte bei der St. Mangenkirche lebte und auch den Märtyrertod fand, und sich dieser Todestag im kommenden Jahr zum tausendeinhundertsten Mal jährt, passt die Wegbezeichnung.

Apropos Wiborada: Auch in diesem Jahr zwischen dem 25. April und 30. Mai sollen sich fünf Menschen in der Wiboradazelle für je eine Woche einschliessen lassen. Gerade werden diese fünf künftigen Inklusinnen und Inklusen auf Zeit gesucht. Hier kann man sich bewerben. Wenn sich im kommenden Jahr die Tür hinter ihnen schliesst, werden vielleicht schon Passantinnen und Passanten den Wiboradaweg zur Wiboradazelle unter die Füsse nehmen, um dort den modernen Inklusinnen und Inklusen zu begegnen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Zäme-Velo, ein Integrationsprojekt

Ein Zitat

Gabriella Clerc und eine weitere Person auf dem Parallel-Tandem vor der Projekt-Werkstatt Frauenfeld.
Foto © Gabriella Clerc
"Ich bin mit meiner stark dementen Schwiegermutter mit einem ähnlichen Velo gefahren. Sie ist dabei richtig aufgeblüht und wir haben sogar zusammen Lieder gesungen! Das wäre zuhause nie möglich gewesen." Erfahrung einer Benutzerin des Zäme-Velos.

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 3,5+6

"Der Gelähmte sah zu ihnen auf und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen. Doch Petrus sagte: 'Gold und Silber habe ich nicht. Aber was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen von Jesus Christus, dem Nazoräer: Steh auf und geh umher!'"

Eine Anregung

Nun ist das Crowdfunding für das Zäme-Velo gestartet (Siehe Beitrag vom 25. September 2024!). Das ist auch nötig, sind diese speziellen Fahrräder, auf denen zwei Personen nebeneinander sitzen, recht teuer. CHF 15'000.- kostet ein neues Gefährt. Ein gebrauchtes Parallel-Tandem drückt mit CHF 3000.- auf die Brieftasche.

Warum startet die Projekt-Werkstatt Frauenfeld dieses Crowdfunding? Die Initiantin Gabriella Clerc schreiben: "Wir haben dieses Projekt gestartet, um Menschen mit körperlichen Einschränkungen Ausflüge zu ermöglichen. Dazu möchten wir 2 Parallel-Tandems anschaffen. Bei diesen Fahrrädern sitzen die Passagiere angeschnallt auf dem Beifahrersitz und können (müssen aber nicht) aktiv mittreten. Dabei entsteht eine Solidarität zwischen sportlich aktiven und immobilen Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, alleine ein Fahrrad zu fahren. Die Ausflüge können mit einer gemeinsamen Kaffee-Pause verbunden werden."

Ich finde das eine ausgezeichnete Sache und würde mich freuen, wenn viele der Leserinnen und Leser dieses Integrationsprojekt mit einem kleineren oder grösseren Beitrag unterstützen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Schutzengel

Ein Zitat

Der Schutzengel von Andreas Hofer auf dem Friedhof Chloos in Kloten.
Foto © Jörg Niederer
"Wo Engel hausen, da ist der Himmel, und sei's auch mitten im Weltgetümmel." Hafis (um 1320-1388)

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 1,10-11

"Die Apostel starrten wie gebannt zum Himmel und schauten ihm [Jesus] nach. Da standen plötzlich zwei weiß gekleidete Männer bei ihnen. Die sagten: 'Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen – genauso wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.'"

Eine Anregung

Der Schutzengel auf dem Friedhof Chloos in Kloten ist ein Geschenk. Geschaffen wurde er vom Davoser Künstler Andreas Hofer. Es ist nicht die einzige derartige Gestalt auf dem Totenacker. Hoch ragt er auf über die Gräber. Es macht den Anschein, als wäre der Baum, aus dem er geformt wurde, an Ort und Stelle gewachsen, und der Kopf vom Bildhauer in luftiger Höhe herausgearbeitet aus dem alten Holz. Die Flügel vollenden den Eindruck, machen den Engel aus. An ihnen ist er zu erkennen als das, was er darstellen soll.

Die Bibel nennt Engel an verschiedenen Stellen. Der Engel an der Pforte des Paradieses, die Engelchöre bei der Geburt von Jesus, die Engel der Apokalypse. Und dann gibt es in der christlichen Kunst die pausbäckigen, nackten, knabenhaften Puttenengel. Der Begriff "Putte" stammt denn auch vom italienischen Wort "putto" ab für "Knabe, Knäblein".

Sehen so die Engel aus? Wie stellst du sie dir vor? Glaubst du an Schutzengel? Oder ist das für dich nur so eine Redensart: "Da hat er/sie aber einen Schutzengel gehabt"?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 1. Oktober 2024

Seifenblasenfreude

Ein Zitat

Eine grosse Seifenblase steigt über den Dachgiebel des Altstadthauses in Weinfelden dem Himmel entgegen.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn die Puste für Sackhüpfen nicht mehr reicht / und die Knochen für Purzelbäume zu alt sind, dann nimm Seifenblasen, die bringen in jedem Alter / Farbe, Freude und neue Träume in dein Leben." Vera Peiter

Ein Bibelvers - 2.Korinther 6,10

"Wir geraten in Trauer und bleiben doch fröhlich. Wir sind arm und machen doch viele reich. Wir haben nichts und besitzen doch alles!"

Eine Anregung

Grosse und kleine Seifenblasen tanzen über den Gottesdienstbesuchenden an der WEGA Weinfelden in der Luft und verbreiten Heiterkeit. Zuvor schon übten einige Jugendliche, wie sie die grossen Seifengebilde mittels zweier Stöcke und einer Schnur zum Leben erwecken können. 

Seifenblasen – die einen zerplatzen nach kurzer Zeit an einer Mauer oder am Boden. Andere steigen hoch, tanzen lange im sanften Wind, suchen den Himmel.

Seifenblasen – da sind die, welche wabernd und vibrierend ihre Form verändern. Andere kommen schon kugelrund zur Welt. 

Seifenblasen – transparent geben sie den Blick frei auf die Farben und Formen des Hintergrunds. Ich sehe das Grau der Mauern in der einen und das Blau des Himmels in der anderen.

Seifenblasen – Sie schillern die kurze Zeit ihres Seins. In diesen Augenblicken verbreiten sie Spielfreude, zaubern ein Lachen auf die Gesichter von Kindern und Alten.

Ich schaue zu, wie die Jüngsten voller Begeisterung Seifenblasen-Serien aus den kleinen Ringen blasen. So muss es gewesen sein, als Gott die Welt schuf. Mit jedem Atemzug kam er/sie der Schönheit und Zärtlichkeit nahe, ganz bei der Sache, ganz bei uns auf dieser einen runden irdenen Seifenblase, hervorgegangen aus dem Hauch seiner Worte, leuchtend blau und voller Lebendigkeit.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen