Ein Zitat
"Erst kommt das Fressen, dann die Moral." Bertold Brecht (1898-1956)Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Römer 8,22+23a
"Wir wissen ja: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz wie in Geburtswehen – bis heute. Und nicht nur sie: Uns geht es genauso!"
Eine Anregung
Während wir wandern, geschieht es tausendfach direkt um uns herum. Erst beobachten wir einen Grosser Blaupfeil, eine Libellenart, wie sie mit einem Kleinen Kohlweissling in den Fängen angeflogen kommt, und diesen am Boden auf dem Feldweg in kurzer Zeit verspeist. Vom Schmetterling bleiben nur noch die hellen Flügel übrig.
Wenige Minuten später beobachten wir, wie sich eine Hornisse einen Käfer, einen Gefleckten Schmalbock, von einer Blüte weggreift und ihn auf dem Boden wälzend in wildem, mehrere Minuten dauernden Kampf tötet. Dann fliegt die Hornisse mit ihrer Beute auf und davon.
Meist geschehen diese Dramen von uns Menschen unbemerkt. Ein Wels verschluckt im trüben Wasser den ahnungslos vorbeischwimmenden Fisch. Die Amsel pickt sich den Wurm und zieht ihn aus dem Boden. Ein Löwenrudel erbeutet ein Kaffernbüffel. Der Bauer verlädt das Kalb in einem Transporter. Es wird nicht mehr zurück kommen.
Es ist eine Welt voller Gewalt. Vielleicht spricht darum die Bibel von "gefallener Schöpfung". Dahinter steht die Erkenntnis und Beobachtung, dass diese Welt, in der wir leben, ohne tausendfachen Tod nicht denkbar ist. Frieden, Schalom, gibt es weder zwischen den Menschen noch in der Natur. Das ist frustrierend.
Manchmal stelle ich mir die Frage, wie eine Welt aussehen müsste, in der dieser Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden durchbrochen ist. Sozusagen eine Welt, in der sich die Lebensformen gegenseitig ernähren, ohne sich gleichzeitig zu töten. Einen richtigen, nachhaltigen Lösungsansatz für dieses Problem sehe ich allerdings nicht.
Es bleibt das Hoffen auf eine Neue Schöpfung, in der alle Tränen, aller Schmerz in Freude verwandelt sind.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen
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