Ein Zitat
"Segnend und gütig mög‘ alle Zeit / Gott behüten dies Heim vor Leid. / Frohsinn und Eintracht und Seelenfrieden / sei immer des Hauses Bewohnern beschieden." Ausschnitt aus einem (Auf-)Richtspruch anlässlich einer AufrichteFoto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Psalm 127,1
"Wenn nicht der Herr das Haus baut, nützt es nichts, dass sich die Bauleute anstrengen. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, nützt es nichts, dass der Wächter wachsam bleibt."
Eine Anregung
Der Rohbau ist fertig, der Dachstuhl gesetzt oder das Flachdach betoniert. Jetzt kommt die "Aufrichte" gefeiert nach alten Bräuchen und Traditionen. Einer dieser Bräuche, welcher auf das 14. Jahrhundert zurückgehen soll, ist das Setzten des Richtbaums, meist ein Nadelbäumchen, zuoberst auf dem Dachstuhl. Dieser "Richtbaum" ist somit älter als der Weihnachtsbaum. Doch warum gibt es diesen Brauch mit dem Richtbäumchen? Genaueres weiss niemand. Da wird vom Hauszauber aus der Glaubenswelt vorchristlicher Zeiten fabuliert. Die Germanen glaubten, dass die Bäume beseelt seien und heilig. Mit dem Anbringen eines künstlichen Baumwipfels zuoberst am Haus habe man versucht, diese Geister, deren Bäume man ja für den Neubau hatte fällen müssen, wieder zu beschwichtigen. Doch diese Ansichten sind spekulativ und setzten eine ungebrochene Tradition bis in die Zeit der Germanen voraus.
Jedenfalls laufen solche Aufrichtfeste nach bestimmtem Schema ab, bei dem der letzte Nagel eingeschlagen wird, Trinksprüche fallen und geleerte Gläser vom Dach geworfen werden, damit sie am Boden zerschellen (Scherben bringen Glück). Das Bäumchen wird als Symbol für Festigkeit, Standhaftigkeit und Langlebigkeit sowie für langes Leben der Bewohnenden (immergrüner Nadelbaum) angebracht. Dann folgt der Richtschmaus zur Arbeitszeit, damit alle daran teilnehmen können, welche am Bau mitgewirkt haben.
Vielleicht war die Sache mit dem Richtbäumchen aber auch viel banaler. Vielleicht dachte sich ein Zimmermann, während er Balken zuschnitt, dass man mit den abgehauenen Tannenspitzen noch etwas anfangen könnte, die da nun alle an einem Haufen auf die Verbrennung warteten. So setzte er kurzerhand einen davon zuoberst aufs Dach. Das gefiel den Bauleuten, und so begann eine Tradition und füllte sich nach und nach mit Sinn, der heute, Jahrhunderte später, nach und nach wieder in Vergessenheit gerät.
Es scheint, dass auch heute noch der Wunsch nach so etwas wie einer säkularen Neubausegnung besteht. Darum gibt es auch Gebete für diesen Anlass.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen
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