Dienstag, 5. August 2025

Geistlich mündig werden

Ein Zitat

Eine flügge junge Rauchschwalbe lässt sich weiter von ihren Eltern füttern.
Foto © Jörg Niederer
"Das Einzige deiner Kinder, das nie erwachsen wird, ist dein Ehemann." Demi Moore (*1962)

Ein Bibelvers - 1. Korinther 13,11

"Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind. Ich urteilte wie ein Kind und dachte wie ein Kind. Als ich ein Mann geworden war, legte ich alles Kindliche ab."

Eine Anregung

Übergangszeiten sind schwierig. Das ist auch bei den Vögeln so. Aktuell kann man viele flügge junge Vögel beobachten, die immer noch ihre Eltern um Futter anbetteln. In Stein am Rhein sehen wir Turmfalken, welche von ihren Jungen um die Kirche herum in wildem Flug verfolgt werden, weil sie ihnen das Futter abluchsen wollen. In der Allmend Frauenfeld ist es ein junger Kuckuck, der längst das Nest verlassen hat und gut fliegen kann, und doch immer noch auf das Futter seiner oft fünfmal kleineren Zieheltern wartet. In den Städten sind es die jungen Spatzen, welche ihren Eltern nachhüpfen und sie um Futter anbetteln. Selbst wenn die Körner neben ihnen auf dem Boden liegen, nehmen sie diese nicht selbst auf, sondern wollen damit gefüttert werden. Auch die Rauchschwalben kennen dieses Problem, dass ihre Halbwüchsigen sich von ihnen weiter verwöhnen lassen wollen (Siehe Foto!).

Wenn wir ehrlich sind, dann kennen wir dieses Verhalten auch von uns selbst. Wem kommt da nicht das berühmte "Hotel Mamma" in den Sinn?

Gibt es aber auch in Glaubensfragen etwas Vergleichbares? Wollen wir uns da auch einfach verköstigen, möglichst vorverdaut und mundgerecht? Wollen wir von der Berufstheologin zurechtgemachte Predigten, die nicht zu sehr auf den geistlichen Magen schlagen? Ab wann sind wir in der Lage, mündige Christ:innen zu sein? Ab wann können und wollen wir, wie einst in einem Werbespot der Reformierten behauptet wurde, "selber denken"?

Es geht um ein mündiges Christsein. Es geht um das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Es geht darum, den Weg von der Kinderbibel zur Erwachsenenbibel zu finden, vom Kinderglauben zum Glauben von Mündigen.

Wie gut ist mir das bisher gelungen?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 4. August 2025

Wie im Flug

Ein Zitat

Ein Hausrotschwanz jagt mit Erbeutetem im Schnabel weiteren Insekten nach.
Foto © Jörg Niederer
"Eines Vogels Flug durch den weiten Himmel trägt den Schauenden mit." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Psalm 55,7

"Da sprach ich: 'Wenn ich doch Flügel hätte! Wie eine Taube wollte ich davonfliegen und mich woanders niederlassen.'"

Eine Anregung

Sieht man Vögel mit Futter im Schnabel, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass in einem Nest Nachwuchs auf sie warten. Der Hausrotschwanz hat schon Beute gemacht, doch das ist ihm noch nicht genug. Gerade fliegt er wieder einem Insekt hinterher.

Das kennen wir. Es ist Montag. Auch wir Menschen müssen arbeiten damit es unsere Kinder gut haben.

Vögel arbeiten im Flug. Möge deine und meine Arbeit wie im Flug geschehen. Ich wünsche uns allen einen ansprechenden, sinnvollen, gesegneten Arbeitstag.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 3. August 2025

Ich mag keine geschlossenen Kirchentüren

Ein Zitat

Am Nationalfeiertag war die Kirche von Brütten verschlossen.
Foto © Jörg Niederer
"Der Veränderung die Tür schließen hieße, das Leben selber aussperren." Walt Whitman (1819–1892)

Ein Bibelvers - Psalm 24,7

"Ihr Tore des Tempels, seid hocherfreut! Ihr Türen der Urzeit, öffnet euch weit! Es kommt der König der Herrlichkeit!"

Eine Anregung

Am 1. August war die Reformierte Kirche in Brütten verschlossen.

Ich mag keine verschlossenen Kirchentüren. Das auch, wenn ich weiss, dass durch offene Kirchentüren auch Menschen mit unlauteren Absichten eintreten können. Aber die Institution, die im Namen des Menschen spricht, der grundsätzlich mit offenem Herzen allen anderen Menschen begegnet ist, in dieser Institution können doch deren Kirchengebäude auch nur offen und einladend sein.

Nun, wir leben in schwierigen Zeiten. Da sind und waren mitunter auch die Gotteshäuser, in denen ich wirke oder gewirkt habe, nicht 24 Stunden zugänglich.

Wenn schon Kirchentüren nicht immer offen stehen können, dann sollten es doch unsere Herzen im Blick auf unsere Nächsten und Fernsten sein. Ganz im Sinn des nun schon alten Leitspruchs der United Methodist Church: "Mit offenen Herzen, offenen Sinnen und offenen Türen".

Mögen die Türen, durch die du heute gehen möchtest, sich vor dir öffnen und hinter dir nicht mehr verschliessen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 2. August 2025

Aufblühen

Ein Zitat

Ein Gemeiner Bläuling tarnt sich für die Nacht als Blüte im Hohen trockenen Gras.
Foto © Jörg Niederer
"Liebe zu empfangen bedeutet, sich selbst als Gegenstand der Besorgnis zu fühlen: Unsere Anwesenheit wird wahrgenommen, unser Name wird registriert, unsere Ansichten werden angehört, unsere Fehler werden mit Nachsicht behandelt und unsere Bedürfnisse werden bedient. Und unter solcher Fürsorge blühen wir auf." Alain de Botton (*1969) Schriftsteller

Ein Bibelvers - Psalm 32,11

"Freut euch über den Herrn und jubelt, ihr Gerechten! Seid alle fröhlich, die ihr aufrichtig seid!"

Eine Anregung

Zugegeben, dem Gemeinen Bläuling, einer Schmetterlingsart, gelingt es leichter, sich als Blüte auszugeben. Er setzt sich auf die Spitze eines Grashalms oder einer Dolde, und schon könnte man ihn mit seinen schönen Farben und Musterungen auf der Aussenseite seiner Flügel für ein mehr oder weniger unscheinbares Blümchen halten. Das harmlose Insekt tarnt sich für die Nacht.

Auch von uns Menschen sagt man, dass wir gelegentlich aufblühen. Jedenfalls wünsche ich es uns allen, dass wir aufblühen können, dass wir neue Freude am Leben erhalten, dass wir Lachen und Lieder singen und voller Lust am Leben abhängen können. Denn darum geht es doch: um die Freude, die wir uns und gegenseitig bereiten.

Am Morgen dann wird der kleine Schmetterling seine Flügel öffnen und einer Blume gleich blau erblühen. Dann schwingt er sich auf zu einem der wenigen neuen Tagen seines kurzen Lebens.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 1. August 2025

Viel Himmel, viel Wolken über der Schweiz

Ein Zitat

Die Schweizerfahne weht beim Wasserreservoir der Ortschaft Oberwagenburg im Kanton Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Wir müssen dankbar sein für ein so schönes Land wie die Schweiz." Älterer Mann, der mutterseelenallein auf einer Leiter balancierende eine Schweizerfahne an einer Scheunenwand anbringt im kleinen Weiler Obermettmenstetten.

Ein Bibelvers - 3. Mose 20,24a

"Daher habe ich euch versprochen: Das Land soll euch gehören. Ich werde es euch geben, und ihr sollt es in Besitz nehmen. Es ist ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Ich bin der Herr, euer Gott."

Eine Anregung

Heute feiert die Schweiz zum 134. Mal den Nationalfeiertag und erinnert damit an den Bundesbrief von 1291. Die aktuelle und offizielle Nationalhymne singen wir nun schon seit 64 Jahren. Zuvor war der Schweizerpsalm noch nicht eidgenössische anerkannt, und bis 1981 auch nur provisorisch eingeführt, weil die Vorgängerhymne sich der Melodie des englischen Königlieds "God save the King" bedient hatte, was natürlich auf Dauer nicht gehen konnte in der zweitältesten, durchgehenden Demokratie der Welt. (Die älteste ist die der USA. "Switzerland second" halt!)

An den Tagen um den Nationalfeiertrag brennen Höhenfeuer, finden politische Reden statt, werden Lampions durchs Land getragen, wird auf Bauernhöfen geschlemmt, da werden Tellspiele aufgeführt, es wird gejasst und seit 1994 wird nur ausnahmsweise erwerbstätig gearbeitet.

Eher chinesisch mutet die Feuerwerksknallerei an, die in letzter Zeit wieder etwas mehr in die Kritik gekommen ist. Besinnlich und feierlich ist der Nationalfeiertag in einigen dunklen Nachtstunden also nicht mehr. Nun, wir werden es wohl auch in diesem Jahr überstehen, diese Lust aufs Zeuseln. Und da Gewitter angesagt sind heute Abend, wird manchenorts der Himmel selbst ein Feuerwerk veranstalten.

Apropos Himmel. Das wünsche ich der Schweiz: Viel Himmel für alle, die in den engen Grenzen meines Heimatlands leben, ob sie nun Hiesige sind oder nicht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 31. Juli 2025

Trüber Tag in bunter Stadt

Ein Zitat

Das Gemälde am Rathaus von Stein am Rhein zeigt den dort predigenden Huldrych Zwingli.
Foto © Jörg Niederer
"Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge." Wilhelm Busch (1832-1908)

Ein Bibelvers - Prediger 7,21

"Beachte nicht das Gerede, das es überall gibt! Dann wirst du auch nicht hören, wie dein eigener Sklave über dich flucht."

Eine Anregung

Gestern landeten wir unerwartet in Stein am Rhein, in diesem touristisch überlaufene Schweizer Städtchen auf deutscher Seite des Rheins. Es war ein trüber Tag, doch die Fassadenmalereien des Ortes machten ihn abwechslungsreich.

Wer aus der Stadtkirche Stein am Rhein durchs Hauptportal ins Freie tritt, sieht vor sich auf der rechten Strassenseite das Rathaus mit einem seiner Gemälden. Das Fresko stellt den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli dar, wie er in diesem Städtchen predigte.

Stein am Rhein war eine der ersten Städte, welche sich der Zürcher Reformation anschlossen. Dies führte in der Folge zum Sturm auf die Kartause Ittingen (Siehe dazu Blogbeitrag vom 19. Juli!).

Auch in Stein am Rhein wurde die Reformation kürzlich gefeiert. Auf einer Webseite kann man sich einen Überblick verschaffen. Besonders die Videos sind aufschlussreich.

Am Gemälde fallen mir die aufmerksam zuhörenden Menschen aus allen Ständen auf.

Mögen auch wir heute aufmerksam durch den Tag gehen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 30. Juli 2025

Borborygmi

Ein Zitat

Die Lampe im Schlafzimmer über meinem Bett. Krankheitsbedingt mein aktueller Anblick.
Foto © Jörg Niederer
"Hilft Cola eigentlich gegen Durchfall? Wenn die Flasche steckenbleibt, ja." 

Ein Bibelvers - 5. Mose 23,13-15a

"Wenn du musst, sollst du aus dem Lager gehen. Dort kannst du dein Geschäft erledigen. Hab immer eine kleine Schaufel dabei. Grab damit ein Loch, bevor du dich hinhockst. Wenn du fertig bist, deck deinen Haufen zu. Denn der Herr, dein Gott, zieht mit euch."

Eine Anregung

Gehabt habe ich es schon des Öfteren. Aber das Wort kannte ich bisher noch nicht. "Borborygmi" bezeichnet dieses Gluckern im Darm, das gleichzeitig zu häufigem Aufsuchen der Toiletten nötigt. Ausgerechnet am schönsten Tag der Woche, also gestern, hat mich die Rache Montezumas lahmgelegt. Für einmal kein Regen, dafür nun dieser Flüssigkeitsverlust an ungewohnter Stelle.

So habe ich zurzeit einen etwas eingeschränkten Horizont. Oft schaue ich hoch zur Lampe in meinem Schlafzimmer. Sie ist mir schon das halbe Leben oder noch länger vertraut. Doch von dort oben naht keine Hilfe. Es heisst abwarten. Aktuell ist es schon etwas besser. Nun überlege ich mir, was die Ursache sein könnte. Die Eier, die ich mir als einziger von der Familie gekocht habe? Die Cornflakes, die ich mir seit vielen Jahren wieder einmal mit Milch genehmigt habe?

Jedenfalls ist es typisch: In den Ferien bin ich krank. Da habe ich Zeit dazu. Brauche ich mehr Erholung. Meine Fitnessuhr sagt ja schon lange, ich würde zu intensiv trainieren, selbst wenn ich nur gerade wieder von einer kleinen Wanderung zurückgekommen bin.

Aber vermutlich interpretiere ich zu viel in diese Unpässlichkeit hinein. Ich bin krank. Na und! Das geschieht. Also mache ich das Beste daraus. Ich ärgere mich nicht darüber. Zur Feier des Tages trinke ich Cola. Dann erzähle ich allen, die es hören wollen (und auch den anderen), dass mein Körper Borborygmi spricht. Es sei eine Art Bauchreden. Mal schauen, wie sie reagieren.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 29. Juli 2025

Flugkunst

Ein Zitat

Nahaufnahme der Flügelaufhängung einer weiblichen Spitzflecklibelle.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn sich Libellen im Sonnenlicht über dem See beflügeln, lächelst du im Herzen." Volker Harmgardt

Ein Bibelvers - Psalm 139,14

"Ich danke dir und staune, dass ich so wunderbar geschaffen bin. Ich weiss, wie wundervoll deine Werke sind."

Eine Anregung

Weltweit gibt es rund 6000 Libellenarten. In der Schweiz finden sich davon 85 Arten. Ein Drittel davon ist stark gefährdet. Besonders jene, die in Hoch- und Flachmooren vorkommen, stehen unter grossem Druck.

Bei der abgebildeten Spitzflecklibelle, wohl ein Weibchen, fällt mir die komplexe Befestigung der Flügel auf. Es ist ja gar nicht einfach, den Übergang von einem starren Exoskelett zu den beweglichen vier Flügeln herzustellen. Auch die unglaubliche Stabilität und Leichtigkeit der Flügel, transparent darüber hinaus und durchzogen von unregelmässig zusammenlaufenden Rippen, ist ein Wunder. Gerade mal 1/100 Gramm schwer sind die vier Flügel. Jeder Flügel wird von einem eigenen Muskelpaar bewegt und kann individuell angesteuert werden. Selbst mit beschädigten Flügeln gelingt es Libellen hervorragend zu fliegen. Mit dreissig Flügelschlägen pro Sekunde erreichen die Libellen Geschwindigkeiten von 60 Stundenkilometern. Dazu kommen die Komplexaugen, die aus vielen tausend wabenförmig zusammengesetzten Einzelaugen bestehen, jedes davon mit eigener Linse. Sie ermöglichen eine perfekte Rundumsicht, was bei den rasanten Flügen äusserst hilfreich ist.

Wir Menschen haben uns bei den Helikoptern an den Libellen orientiert. Doch im Vergleich zu diesen Tieren ist der an sich komplizierte Flugmechanismus des Helikopters noch recht primitiv. Beim Fliegen machen uns die Libellen wohl noch viele Jahre etwas vor.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 28. Juli 2025

Natur und Design

Ein Zitat

Die Bruchwasserläufer sind wieder auf dem Zug in den Süden und rasten auch am Ägelsee bei Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Form folgt Funktion – das ist oft missverstanden worden. Form und Funktion sollten Eins sein, verbunden in einer spirituellen Einheit." Frank Lloyd Wright, Architekt (1867-1959)

Ein Bibelvers - 1. Korinther 2,9

"In der Heiligen Schrift heißt es dazu: 'Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, worauf kein Mensch jemals gekommen ist – all das hält Gott für die bereit, die ihn lieben.'"

Eine Anregung

Vom Bruchwasserläufer habe ich schon einmal geschrieben (Blogbeitrag vom 16. August 2023). Nun konnte ich den eleganten Vogel, zwar durch Schilfrohre hindurch, mit besserem Objektiv und besserer Kamera wieder ablichten. Gerade sind die hübschen Stocherer auf dem Zug vom Sommer- ins Winterquartier.

Was mich an der Natur immer wieder berührt, ist das Design. Diese Kombination von Lebenstauglichkeit und Eleganz (bei manchen Tieren auch die unglaubliche Skurrilität ihres Aussehens z.B. beim Takin mit seiner seltsamen Gesichtsform).

In letzter Zeit tauchen immer wieder kleine Filme und Bilder mit Tieren auf, von denen ich noch nie etwas gehört habe und die ich auch noch nie gesehen habe. Oft sind es dann durch Künstliche Intelligenz erstellte Gebilde. Es gibt sie nicht, und was früher dem Artdirector teurer Filme vorbehalten war, nämlich fantastische Lebensformen oder auch längst ausgestorbene Tiere zum Leben zu erwecken, ist heute mit wenig Computerkenntnis, einem entsprechenden Programm und viel Rechenleistung und Energie auch wenig begabten Menschen möglich.

Während weltweit die Arten in rasantem Tempo aussterben, flüchten wir Menschen uns in eine künstliche Welt. Nur davon kann niemand leben.

Gutes Design bedeutet, dass etwas Sinn macht und schön ist und in ein Ambiente hineinpasst. Diese Welt in der wir leben dürfen, ist äusserst komplex zusammengestellt. Da passt jede Kleinigkeit an den Ort, an dem sie sich befindet. Dass der Bruchwasserläufer am Ägelsee rastet, ist kein Zufall, sondern wesentlich. Oft ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, wie etwas in die Vielfalt anderer Geschehnisse eingepasst ist. Manchmal scheint das, was wir sehen, auch einfach nur schön oder seltsam zu sein. Und doch ist es tausendmal wesentlicher für unser Leben, als jede erfundene und visuell zum Leben erweckte Fantasie.

Ich bin kein Vertreter des Intelligenten Designs. Ich kann der Evolutionslehre viel Sinn abgewinnen. Ich finde es bewundernswert, dass da eine Dynamik in der Natur ist, die immer wieder Neues, Schönes, Sinnvolles und Passendes entstehen lässt. Dahinter sehe ich eine ordnende, gestaltende Hand. Nennt mich sentimental oder auch leichtgläubig. Aber ich Glaube an einen Gott, der dies alles irgendwie und zielgerichtet entstehen lies und jeden Tag mit einer unglaublichen Lebensenergie erfüllt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 27. Juli 2025

Gute Nachrichten

Ein Zitat

Die zwei Glasfenster von Gian Casty aus dem Jahr 1966 in der Evangelischen Kirche Kurzrickenbach nebeneinandergestellt. Sie stellen die 4 Evangelisten dar.
Foto © Jörg Niederer
"Gesetz ist, was wir tun sollen; Evangelium aber, was Gott geben will." Martin Luther (1483-1546)

Ein Bibelvers - Markus 1,1

"Die Gute Nachricht von Jesus Christus, dem Sohn Gottes: Anfang und Grundlage."

Eine Anregung

Am Freitag fielen mir in der Evangelischen Kirche Kurzrickenbach, da wo heute das Open Place zu finden ist, die beiden Glasfenster auf. Gian Casty hat sie im Jahr 1966 angefertigt.

Dem Bündner Künstler gelang der Durchbruch, als seine Christophorus-Scheibe 1955 vom Bund erworben und dann Papst Pius XII. zum 80. Geburtstag überreicht wurde.

Die abgebildeten Glasfenster stellen die vier Evangelisten dar mit ihren Symbolen: Der Mensch (immer wieder auch als Engel dargestellt) für Matthäus, der Löwe für Markus, der Adler für Johannes und der Stier für Lukas.

Evangelium bedeutet auf Deutsch: Gute Nachricht, frohe Botschaft. Vermutlich wird heute in der Kirche in deiner Nähe aus einem der Evangelien gelesen, ganz egal, ob du da bist oder nicht. Ganz egal, ob du heute die Kirche besuchst oder nicht, die Evangelien sind auch gute Botschaft an dich.

Ich wünsche uns allen einen gesegneten Sonntag.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 26. Juli 2025

Bild gewordener Glaube

Ein Zitat

Pfarrerin Christine Preis inmitten von Teilnehmenden am Kurs "Ich glaube..." im Open Place Kreuzlingen.
Foto © Jörg Niederer
"Manchmal halte ich mich für einen glaubenden Menschen." Dieter, Teilnehmer am Sommerkurs "Ich glaube..." im Open Place Kreuzlingen

Ein Bibelvers - Sprüche 13,10a

"Wer Umgang mit Weisen hat, wird klug."

Eine Anregung

Der Ort ist etwas Besonderes; die Menschen auch. Gestern besuchte ich die Vernissage des Sommerkurses "Ich glaube..." im Open Place Kreuzlingen. Die alten Glaubensbekenntnisse wurden im Verlauf einer Woche kreative interpretiert. Geleitet wurde der Workshop von meiner methodistischen Pfarrkollegin Christine Preis. Keine einfache Sache angesichts der Teilnehmenden aus fast ausschliesslich besonderen Lebensumständen. Was bei der faszinierenden Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben entstand, ist ein buntes Triptychon, das mit einigem Stolz von vier der beteiligten Hobbykünstlerinnen erklärt wurden. Da war Uwe; der sah vor allem Rot. Fast alles Rote auf dem Gemeinschaftswerk kam von ihm. Elisabeth erkannte im Verlauf des Kurses: Gott ist nicht nur da, wenn es mir gut geht, oder wenn es mir schlecht geht. "Gott ist immer bei uns".

Während der Vernissage tröpfelten weitere Personen in den Kirchenraum. Ab und zu machten sich Handys bemerkbar. Es war kein exklusiver Anlass versnobter Kunstliebhaber, sondern ein von besonderen Lebenserfahrungen erfüllter Moment.

Im nachfolgenden Gespräch mit einem weiteren Kursteilnehmer meinte dieser, er hätte zwar etwas anderes erwartet, aber schlussendlich habe es ihm gefallen. Das Open Place sei nebst Arbeitsplatz und Familie sein dritter Ort. Wobei ich mir nach dem Gespräch nicht sicher war, ob er überhaupt Arbeit oder Familie hat. 

Das Open Place Kreuzlingen ist mehr als ein Besuch wert. Und da sich an diesem Abend noch eine weitere methodistische Pfarrerin zur Vernissage eingefunden hatte, war es auch eine Art Pfarrkleingruppe, die sich da spontan bildete. Hinzu kommt, dass ich den leitenden Pfarrer Damian Brot noch von seiner Zeit her kenne, als er drei Jahre lang in der Methodistenkirche Flaach wirkte. Er habe sich in der Zwischenzeit in Sozialarbeit weitergebildet. Die Konzentration der diakonischen Angebote in der seit der Reformation evangelischen Kirche St. Peter, sie basiert auf einer Kapelle St. Peter aus dem Jahr 1157, hat sich bewährt. Aktuell soll die Kirche noch stärker zu einem Mehrzweckraum umgestaltet werden.

Das alles und noch viel mehr erfuhr ich so beiläufig bei Kaffee, Kuchen und Speiseeis in Gesellschaft vieler besonderer Menschen. Ich meine, ein Besuch im Open Place lohnt sich. Aktuell auch, um einen vertieften Blick auf das Triptychon über die Trinität Gottes zu werfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 25. Juli 2025

Der äussere Schein von Kopftüchern

Ein Zitat

Eine kopftuchtragende Frau in modischen Kleidern wartet am Bahnhof mit ihrer Freundin.
Foto © Jörg Niederer
"...und dies Kopftuch hat keineswegs ausschließlich mit Unterdrückung zu tun. Das hat auch was mit Stolz und Identität zu tun..." Hagen Rether (*1969), Deutscher Kabarettist

Ein Bibelvers - 1. Korinther 11,10

"Deshalb soll die Frau ihren Kopf verhüllen. Das ist das Zeichen ihrer Vollmacht, wenn sie in der Versammlung öffentlich redet. So entspricht es der Ordnung, über deren Einhaltung die Engel wachen."

Eine Anregung

Ist denn das zu glauben? Da hat man mich von Kindesbeinen an gelehrt, man solle nicht aufgrund von Äusserlichkeiten über andere Menschen urteilen. Immer wieder wurde mir das vermittelt. Es komme auf die inneren Werte an, auf das, was ein Mensch kann und was er an Werten lebt. Und dann dies. Da wird ein Kopftuch zu einem Grund, eine Frau erst anzustellen und dann wieder zu entlassen. Ich kann es einfach nicht glauben! Kommt es nun doch wieder auf Äusserlichkeiten an?

In Eschenbach wurde eine kopftuchtragende Frau als Lehrerin erst eingestellt, ich vermute aufgrund von Bewerbungsgesprächen, bei denen die pädagogischen und humanistischen Fähigkeiten und Einstellungen dieser Frau unzweifelhaft festgestellt worden waren. Bestimmt kam auch das Kopftuch zur Sprache und ob die Frau Privatleben und Religion und ihr religiös neutral zu bleibendes Berufsleben als Lehrerin auseinanderhalten könne. Doch dann gab es kritische Anfragen von Eltern, und die Behörde zog diese Anstellung wieder zurück.

Frage: Kannst du anhand der Kochmütze wissen, ob eine Koch gut oder schlecht kocht? Kannst du anhand eines T-Shirts mit Schweizerkreuz unterscheiden, ob ein Mensch Patriot ist oder nicht? Also ich kann das nicht. Ich muss erst einmal etwas essen, das mir der Koch auftischt, um urteilen zu können. Ich muss erst mit dem Schweizerkreuzbekleideten sprechen, um seine Gesinnung zu erfahren. Ich kann auch nicht an einem Kopftuch erkennen, ob es aus Respekt vor der eigenen Tradition und Herkunft getragen wird, ob damit ein religiöses Statement gemacht wird oder ob es einfach eine Modefrage ist. Ich muss mit dieser Frau sprechen, um mehr zu erfahren.

Aufgrund eines Kopftuchs eine Frau nicht als Lehrerin anzustellen, halte ich selbst für ein religiöses Statement und nicht für einen sachlich begründeten Entscheid. Denn wer sachliche Argumente hat, eine Frau als Lehrerin einzustellen, und dann aufgrund von einer mehrdeutigen Äusserlichkeit und wider besseren Wissens über die Qualifikation dieser Pädagogin sich zur Handlangerin von möglicherweise fremdenfeindlichen oder konservativen christlichen Gruppierungen macht, handelt nicht mehr religionsneutral. Genau diese Neutralität in Religionsfragen ist aber an öffentlichen Schulen begründet durch die Trennung von Kirche und Staat vorauszusetzen.

Wäre ich eine Frau, vielleicht sogar angestellt als Lehrerin, ich würde mich nach diesem fragwürdigen, eigentlich religiösen Entscheid der Schulbehörde von Eschenbach solidarisieren mit dieser zurückgewiesenen Pädagogin. Ich würde tun, was der Vater (oder Grossvater? - ich zitiere aus der Erinnerung) von Corrie ten Boom in anderem Zusammenhang getan hat, als Holland im 2. Weltkrieg von Deutschland besetzt wurde, und man von den Juden verlangte, den Judenstern zu tragen. Er legte als Christ selbst den Judenstern an, um gegen diese Herabwürdigung von Menschen zu protestieren. Ich würde als Frau ab sofort ein Kopftuch tragen. Das wäre dann bestimmt kein religiöses Bekenntnis, sondern eines zum Pluralismus und zur Neutralität, zu Respekt und zur Achtung und Einhaltung von Menschenrechten.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 24. Juli 2025

Der Turm und seine Opfer

Ein Zitat

Auf dem Weg zur Kursschiff-Anlegestelle in Solothurn kommt man am Krummturm vorbei.
Foto © Jörg Niederer
"Getrost! Was krumm, wird oft auch grad', oft über Nacht kam guter Rat." Eduard Mörike (1804-1875)

Ein Bibelvers - Prediger 1,15

"Man sagt: 'Was krumm ist, kann nicht gerade werden, und was nicht da ist, kann man nicht zählen.'"

Eine Anregung

Gestern 11.11 Uhr standen wir vor der Kathedrale Solothurn, und wenige Minuten später vor dem Krummturm. Sein Spitzdach macht von fast allen Seiten einen krummen, schiefen Eindruck. Grund dafür ist die unregelmässige fünfeckige Grundfläche mit einem dadurch asymmetrischen Dach. Gebaut wurde der Turm um das Jahr 1462. Wobei sich der Bau wohl aus finanziellen Gründen hinzog.

Der Sage nach soll der Solothurner Baumeister dieses Turms einem Zimmermann den Auftrag gegeben haben, das Spitzdach zu bauen. Als Lohn winkte die Trauung mit der Tochter des Baumeisters, denn diese und der Zimmermann hatten sich unsterblich ineinander verliebt. Der gestellten Aufgabe war der unerfahrene Jüngling nicht gewachsen. Er scheiterte. Das war auch die Absicht des Baumeisters, wollte er doch diesen Freier seiner Tochter loswerden. Aus Verzweiflung über sein Versagen stürzte sich der junge Mann in die Aare und ertrank. In Solothurn löste dieser tragische Vorfall viel Empörung aus. So ging es nun auch dem Baumeister an den Kragen. Er wurde umgehend in das Verlies geworfen, das er selbst beim Bau des Krummturms errichtet hatte.

Auch ich erhielt einst von der Mutter meiner heutigen Frau eine Aufgabe, die mitbestimmen war für den weiteren Verlauf meines Lebens. Ich wurde aufgefordert, eine Grube auszuheben für ein Rhododendronbeet und habe dies Aufgabe auch zur vollen Zufriedenheit erfüllt. So bin ich nun seit 41 Jahren mit der Liebe meines Lebens verheiratet, und meine gute, starke Schwiegermutter ist glücklicherweise auch nie in einem Verlies verschwunden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 23. Juli 2025

Deutschland durchquert

Ein Zitat

Weite deutsche Landschaft bei Baltersweil.
Foto © Jörg Niederer

"Als ich nach Deutschland kam, sprach ich nur Englisch - aber weil die deutsche Sprache inzwischen so viele englische Wörter hat, spreche ich jetzt fließend Deutsch!"
Ruedi Carrell (1934-2006)

Ein Bibelvers - Markus 13,26

"Dann werden alle es sehen: Der Menschensohn kommt auf den Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit."

Eine Anregung

Gestern mal schnell Deutschland durchquert auf einem der Jakobswege. Gut, das war nicht an der breitesten Stelle. Die Luftlinien-Distanz von der einen Grenze zur anderen, südlich und nördlich von Berwangen, beträgt nur gerade 2,3 Kilometer. Aber es ist nun mal so, dass die deutschen Lande zwischen Rafz und Osterfingen in einer Art Wurmfortsatz, breit wie eine Wespentaille in die Schweiz hineindrängen.

Faszinierend an diesem Tag war auch das Wolkenspiel. Am Himmel gab es grosses Theater. Action. Die Engel auf den Wölkchen spielten Rodeo und nicht Flöte. Überhaupt, ich stelle mir den Himmel spannend und abwechslungsreich vor. Keinesfalls wird es bei und mit Gott langweilig. Weder Diesseits noch Jenseits.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 22. Juli 2025

Sonntagmorgen in Spreitenbach

Ein Zitat

Kaum jemand ist am Sonntagmorgen unterwegs beim Shoppi Tivoli in Spreitenbach
Foto © Jörg Niederer
"Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, Dinge zu tun, die man nach Meinung anderer Leute nicht fertigbringt." Marcel Aymé (1902–1967)

Ein Bibelvers - 2. Mose 32,6

"Am nächsten Tag standen sie früh auf und brachten Brandopfer und Schlachtopfer dar. Das Volk setzte sich nieder. Sie aßen und tranken. Dann standen sie auf, um sich zu vergnügen."

Eine Anregung

Sonntagmorgen in Spreitenbach. Die Strassen sind menschenleer vor dem Shoppi Tivoli, da wo sich sonst der Verkehr staut und die Menschenmassen ihre Einkäufe mehr oder weniger lustvoll tätigen. Eine Frau steigt in das leere Tram, Zürich zu. Das sonst quirlige, 1950 als Satellitenstadt für bis zu 35'000 Einwohner:innen geplante Siedlungsgebiet zeigt sich von ungewohnt ruhiger Seite. Später, auf dem Weg zum Heitersberg-Gipfel, wenn Flugzeuge über uns dröhnend Urlauber aus- und einfliegen, wünschen wir uns ironisch in das stille Spreitenbach zurück, dahin wo das ersten Einkaufszentrum der Schweiz entstand. Später fusionierte es mit einem zweiten Einkaufszentrum zum heutigen Shoppi Tivoli.

Anfänglich profitierte die verhinderte Stadt vom Konkubinatsverbot im Kanton Zürich. So zogen viele unverheiratete Paare nach Spreitenbach, das im Kanton Aargau liegt. Dort durfte man ohne Trauschein schon früher zusammen wohnen als ist der nahen Weltstadt Zürich. Während der Ölkrise und der Wirtschaftsflaute der 1970er Jahre brachen die hochfliegenden Ideen der Städteplaner in sich zusammen. So ist Spreitenbach auch heute noch ein Dorf. Ein städtisch wirkendes Dorf mit knapp 12'500 Einwohner:innen.

Etwas später landen wir im alten Bauerndorfkern. Dort herrscht auch kein hektisches Treiben. Aber es ist deutlich mehr los, als vor dem verwaisten Shoppi Tivoli. Uns begegnen viele ältere Menschen. An der alten, paritätischen Kirche führt der Wanderweg hinauf zum Wald. Wir sehen sie nur von aussen. Daneben steht eine viel grössere Kirche direkt angrenzend zum naturnahen Friedhof. Auf ihrer Spitze kräht der protestantische Hahn. Im Innern entpuppt sich diese sogenannt neue, aber auch schon alte Kirche als römisch-katholisches Gotteshaus.

Der Friedhof ist nicht unter den Sehenswürdigkeiten von Spreitenbach gelistet. Das erlaubt die Pietät wohl nicht. Dabei sollte er das. Selten sah ich einen so idyllischen Totenacker, und noch nie in direkter Nachbarschaft zu einem Ortsteil, der mit dem Namen Tivoli an die von Kaiser Hadrian gebaute, etwa 30 Kilometer von Rom entfernte, vergnügliche Sommerresidenz Tibur erinnert.

Den Menschenmassen, welche die Tramlinie 20 wochentags herankarrt, oder die individualverkehrt heranlärmen, bleibt dieser friedliche Ort verborgen. Viele "vergnügen" sie sich lieber mit Einkaufwägelchen. Diese sind im alten Dorfkern nicht erwünscht, wie die überdimensionierten Verbotstafeln, aufgemalt auf den Gehwegen ausgangs des Einkaufstempels, mehr als deutlich signalisieren.

Also: wenn es dich wieder einmal nach Spreitenbach zieht, dann lasse für einmal den Plastik-Einkaufskorb stehen und besuche das alte Spreitenbach mit seinen Kirchen, den alten Bauernhäusern und dem Speicher aus dem 16. Jahrhundert. Auch nicht fehlen darf ein Päuschen auf dem wildromantischen Friedhof. Da ist es fast wie in den Gärten der Villa d’Este oder Villa Gregoriana von Tibur-Tivoli. Man muss ja nicht ewig an diesem friedlichen Ort verweilen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 21. Juli 2025

Kämpfe im Verborgenen

Ein Zitat

Eine Hornisse überwältigt auf dem Boden liegend einen Gefleckten Schmalbock. Später trägt sie die Beute davon.
Foto © Jörg Niederer
"Erst kommt das Fressen, dann die Moral." Bertold Brecht (1898-1956)

Ein Bibelvers - Römer 8,22+23a

"Wir wissen ja: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz wie in Geburtswehen – bis heute. Und nicht nur sie: Uns geht es genauso!"

Eine Anregung

Während wir wandern, geschieht es tausendfach direkt um uns herum. Erst beobachten wir einen Grosser Blaupfeil, eine Libellenart, wie sie mit einem Kleinen Kohlweissling in den Fängen angeflogen kommt, und diesen am Boden auf dem Feldweg in kurzer Zeit verspeist. Vom Schmetterling bleiben nur noch die hellen Flügel übrig. 

Wenige Minuten später beobachten wir, wie sich eine Hornisse einen Käfer, einen Gefleckten Schmalbock, von einer Blüte weggreift und ihn auf dem Boden wälzend in wildem, mehrere Minuten dauernden Kampf tötet. Dann fliegt die Hornisse mit ihrer Beute auf und davon. 

Meist geschehen diese Dramen von uns Menschen unbemerkt. Ein Wels verschluckt im trüben Wasser den ahnungslos vorbeischwimmenden Fisch. Die Amsel pickt sich den Wurm und zieht ihn aus dem Boden. Ein Löwenrudel erbeutet ein Kaffernbüffel. Der Bauer verlädt das Kalb in einem Transporter. Es wird nicht mehr zurück kommen.

Es ist eine Welt voller Gewalt. Vielleicht spricht darum die Bibel von "gefallener Schöpfung". Dahinter steht die Erkenntnis und Beobachtung, dass diese Welt, in der wir leben, ohne tausendfachen Tod nicht denkbar ist. Frieden, Schalom, gibt es weder zwischen den Menschen noch in der Natur. Das ist frustrierend.

Manchmal stelle ich mir die Frage, wie eine Welt aussehen müsste, in der dieser Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden durchbrochen ist. Sozusagen eine Welt, in der sich die Lebensformen gegenseitig ernähren, ohne sich gleichzeitig zu töten. Einen richtigen, nachhaltigen Lösungsansatz für dieses Problem sehe ich allerdings nicht.

Es bleibt das Hoffen auf eine Neue Schöpfung, in der alle Tränen, aller Schmerz in Freude verwandelt sind.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 20. Juli 2025

Zwei Seiten

Ein Zitat

Glasfenster der Heiligen Cäcilie in der Katholischen Kirche Niederuzwil, von innen und von aussen betrachtet.
Foto © Jörg Niederer
"Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen." Konfuzius (551-479 v.Chr.)

Ein Bibelvers - Matthäus 5,15

Jesus: "Es zündet ja auch niemand eine Öllampe an und stellt sie dann unter einen Tontopf. Im Gegenteil: Man stellt sie auf den Lampenständer, damit sie allen im Haus Licht gibt."

Eine Anregung

Noch einmal ein Glasfenster aus der Katholischen Kirche Niederuzwil. Diesmal ist es das Fenster mit dem Bildnis der Heiligen Cäcilie. Es befindet sich sinniger Weise über der Empore mit der Orgel. Denn die Heilige ist die Schutzpatronin der Kirchenmusik.

Einmal ist das Fenster auf dem Foto von aussen zu sehen, das andere mal von innen. Was auffällt: Das Licht muss von der anderen Seite durch das Fenster einfallen, damit die Farben aufleuchten. Sonst bleibt das Fenster blass und unscheinbar.

Das kann man auch auf uns Meschen übertragen. Erst wenn das Licht von dem, der sich als Licht der Welt bezeichnet hat, durch uns hindurchscheint, werden wir selbst zu einem leuchtenden Zeugnis für andere.

Ich wünsche dir, dass Gottes Licht dein Sein zum Leuchten bringt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 19. Juli 2025

Gebet für die Nati?

Ein Zitat

Glasfenster in der Katholischen Kirche Niederuzwil, aufgereiht wie Fussballerinnen beim Singen der Nationalhymne.
Foto © Jörg Niederer
"An manchen Tagen ist man der Hund, an anderen die Laterne." Kalenderspruch

Ein Bibelvers - Offenbarung 21,7

"Wer siegreich ist und standhaft im Glauben, wird das alles als Erbe erhalten. Ich werde sein Gott sein, und er wird mein Kind sein."

Eine Anregung

Gestern nach der Beisetzungsfeier besuchte ich kurz noch die Katholische Kirche in Niederuzwil, bestaunte die Glasfenster und überlegte, ob ich eine Kerze anzünden und ein Gebet sprechen soll für den Sieg der Schweizer Fussballfrauen. Doch dann tat ich es nicht. Am Bahnhof in Uzwil und Wil dann viele Frauen und Männer in roten Trikots auf dem Weg an den Viertelfinal nach Bern. Die Stimmung war fröhlich. Eine Frau meinte: "Da muss man einfach dabei sein, auch wenn wir vermutlich nicht weiterkommen."

Am Abend dann schaute ich mir das Spiel im Fernsehen an, hoffte mehr als eine Stunde auf ein Wunder, bis die zwei Tore fallen für das spanische Frauenteam.

Hätte ich doch nur die Kerze angezündet und das Gebet gesprochen, heute in der Kirche. Nun haben die Schweizer Fussballfrauen verloren, und ich bin schuld. Ohne Kerze, keinen Sieg.

Gut, auch bei den anderen Spielen der Women's Euro habe ich nicht gebetet und auch keine Kerzen angezündet. Und da haben die Schweizerinnen immerhin zwei von dreimal gewonnen.

Vielleicht hat die spanische Bevölkerung, zahlenmässig uns Schweizer:innen sowieso weit überlegen, halt mehr Kerzen für ihr Team angezündet als wir, und mit dieser schieren Masse Gott mehr beeindruckt. Allerdings: Steht Gott nicht auf der Seite der Schwachen, also in diesem Fall auf der Seite der Schweiz? Als schwach kann man das Schweizer Frauenteam nun aber auch wieder nicht bezeichnen, immerhin haben sie es den Spanierinnen ziemlich schwer gemacht. 

Wenn ich die Sache mit dem Gebet um Siege in Sportwettkämpfen so drehe und wende, wenn ich es mir ernsthaft überlege, komme ich zu keinem klaren Ergebnis. Vielleicht haben Niederlagen und Siege gar nichts mit Gebeten zu tun. Vielleicht ist Gott neutral, noch mehr als die Eidgenossenschaft. Vielleicht wirkt Gott im Fussballgeschehen wie die Schiedsrichterinnen: unvoreingenommen, unparteiisch, gerecht. Vielleicht sagt er am Schluss wie eine Mutter zu ihren Kindern, die gerade spielerisch siegen und verlieren lernen: "Es ist ja nur ein Spiel." Und: "Man muss auch verlieren können." Vermutlich sagt Gott uns nicht, wir sollen für Siege und gegen Niederlagen beten.

Egal. Das nächste Mal vor so einem wichtigen Match werde ich bestimmt beten und eine Kerze anzünden. Man muss schliesslich auch gewinnen können. Wie heisst es doch: "Nötzts nüz so schadts nüz."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 18. Juli 2025

Was jetzt?!

Ein Zitat

Ferienstimmung an einem Strand auf Kreta.
Foto © Jörg Niederer

"Was ohne Ruhepausen geschieht, ist nicht von Dauer."
Ovid (43 v.Chr. - ca. 17 n. Chr.)

Ein Bibelvers - Kolosser 3,15

"Und der Friede, den Christus schenkt, lenke eure Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Und dafür sollt ihr dankbar sein!"

Eine Anregung

Gelesen habe ich in einem Forum über Fotografie das Wort "Urlaub-Salben", und mich gewundert, was Fotografie und Salben miteinander zu tun haben. Dann wurde mir mein Versehen bewusst. Es sollte "Urlaubs-Alben" heissen. Das nun passte besser, ging es doch um digital erstellte Bücher, Erinnerungen aus gemachten Ferienfotos. Geschrieben war das Wort natürlich so: "Urlaubsalben". In einer Weise, dass diese Doppeldeutigkeit möglich wird. Noch etwas gilt es zu erwähnen. Anders als in Deutschland wird in der Schweiz nicht klar unterschieden zwischen Ferien und Urlaub.

Nun gehören Salben, vor allem Sonnenschutzsalben, ja schon auch zu den Ferien. Salben und Ferien, beides steht dafür, dass man sich etwas Gutes gönnt, geschützte Erholung sucht und findet.

Genau das werde ich nun bald auch erleben dürfen. Ferien, Urlaub, der Geruch nach Sonnencreme, kitschige Erinnerungsfotos, Schweiss und Aussicht, Sonnenauf- und Sonnenuntergänge.

Meine Eltern beteten jeweils vor der Fahrt mit dem Auto in die Ferien nach Holland. Sie wussten, Sonnenschutzmittel reichen nicht aus, um friedliche Ferien zu erleben.

Möge Gott uns alle in den Ferien bewahren. Mögen die Fotos in Urlaubs-Alben nicht nur von brauner Haut und Urlaub-Salben erzählen, sondern auch von Gottes Beistand, von der wunderbaren Welt und von vielen Momenten des Friedens.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 17. Juli 2025

Gewohnheiten

Ein Zitat

Neue Armaturen in den Toiletten der Methodistenkirche St.Gallen verändern die gewohnten Abläufe.
Foto © Jörg Niederer
"Die schlimmste Herrschaft ist die der Gewohnheit." Publilius Syrus (90-40 v. Chr.)

Ein Bibelvers - Lukas 4,16

"Und er [Jesus] kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um zu lesen."

Eine Anregung

Am alten Laptop hatte ich einen Touchscreen; am neuen nicht mehr. Anfänglich aber versuchte ich auch am neuen direkt auf dem Bildschirm zu arbeiten. Es dauerte einige Zeit, bis sich die Gewohnheiten den neuen Umständen angepasst haben.

In den Toiletten an meinem Arbeitsplatz in der Methodistenkirche St. Gallen hatte es am Brünneli so einen Wasserhahn, bei dem man einen Knopf runterdrücken musste, und dann lief einige Zeit das Wasser und stellte von alleine wieder ab. Nun wurden neue Armaturen installiert, mit einem Hebel, den man leicht nach hinten kippen muss, damit das Wasser zu sprudeln beginn. Abschalten geht auf die selbe Weise, indem man den Hebel nach vorn kippt. Die ersten Mal aber klopfte ich, vom alten System gewohnt, auf den Hebel, was natürlich ausser Irritation keine gewünschten Folgen zeitigte.

Ich bin, es ist nicht zu leugnen, ein Gewohnheitstier. Sind die Abläufe einmal fixiert, wird es schwierig, von ihnen abzuweichen.

Meine Frau beklagt sich immer einmal wieder, dass an ihrem Mobiltelefon sich Routinen und Ansichten ständig ändern. Immer wieder ist die Bedienung der Apps oder von Webseiten anders, als gerade eben noch. Das irritiert.

Nun frage ich mich, wie oft man sich neuen Umständen anpassen kann, und ab wann es fertigt ist damit. Wie viel Gewohnheit ist gut? Kann es denn an gar keinem Ort so bleiben, wie es schon immer war? 

Die Sehnsucht nach dem Bleibenden, Gewohnten, sie ist auch in der Kirche da. Aber auch hier ist Veränderung angesagt. Museale Erstarrung passt eben nicht zu einem dynamischen Gott, der zwar immer derselbe sein wird, uns aber auch überrascht und auf neue Wege führt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 16. Juli 2025

Bier analog, Meditation digital

Ein Zitat

Eine meditative Umgebung an einem der Strände auf der griechischen Insel Kos. (Foto: Sabine Möckli Niederer)
Foto © Sabine Möckli Niederer
"Gott ist über, jenseits, für dich, unnahbar nah und alles in allem. Entdecke Weite und Freiheit in Glaube und Gottesbild." Webseite Netzkloster

Ein Bibelvers - Offenbarung 8,1

"Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, wurde es still im Himmel, etwa eine halbe Stunde lang."

Eine Anregung

Fast vier Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal (Siehe Beitrag vom 11.11.2021!) vom Netzkloster berichtet. Seither ist viel geschehen. Dave Jäggi, wurde abgelöst als Netzabt durch Simon Weinreich, Pfarrer in der reformierte Kirche Illnau-Effretikon. Die reformierte Zürcher Landeskirche ging für die Förderung des Netzklosters aus dem Innovationsfonds eine Kooperationsvereinbarung mit der Gründungsträgerschaft Evangelisch-methodistische Kirche ein. Nebensächlicher ist, dass es nun auch ein analoges Netzklosterbier gibt, das man in Flaschen in Zürich, Bern und Effretikon beziehen kann.

Die meditativen Angebote sind aber nach wie vor weitgehend digital und richten sich an Menschen, die sich vertieft dem Meditieren im Alltag hingeben möchten.

Sascha, 33 Jahre alt, schreibt über das Angebot der Novatio: "Für mich ist Achtsamkeit eine der zentralen Eigenschaften, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, Wenn eine gerechte, freie und sichere Welt unser Ziel ist, dann ist Achtsamkeit der Weg dorthin. (Christliche) Meditation befähigt Menschen zu einem grösseren Mass an Empathie und Resilienz, in dem sie den Kapazitätsraum in uns vergrössert. Darum bin ich so ungeheuer dankbar für die Angebote aus dem Netzkloster. Diese helfen, eine Lücke im christlichen Kontext zu schliessen."

Abgesehen vom Schnupperangebot Inspectio kosten die Kurse und Ausbildungsgänge zwischen CHF 90.- bis CHF 360.-. Versprochen wird, dass die "...kontinuierliche Meditationspraxis dich in Verbindung bringt: mit dir selbst, mit Gott und mit der faszinierend komplexen Welt, in der du lebst."

Auch wenn man es sich nicht vorstellen kann, in dieser mystischen Weise nach der Meditationsform des Herzensgebet still zu werden, ist ein Blick auf die sehr gelungene Webseite in jedem Fall lohnend.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 15. Juli 2025

Ich bin da

Ein Zitat

Anschrift "...da sein" an einer Hauswand im Kloster Magdenau.
Foto © Jörg Niederer
"Ich habe lange auf mich gewartet, bis ich endlich da war."

Ein Bibelvers - Jesaja 52,5+6

"Ausspruch des Herrn... Darum muss mein Volk erkennen, wer ich bin. An diesem Tag werden sie merken: Ich bin es, der sagt: 'Ich bin für euch da.'"

Eine Anregung

Gerade sind ja schulferienbedingt viele mal weg. Ich bin noch da. Da sein ist doch schon einmal etwas. Im Kloster Magdenau wollen die Schwestern nebst "leben" und "lieben" auch ganz bewusst "da sein"

Bin ich gerade da, bei mir, zuhause? Fühle ich mich wohl in meiner Haut? Ausser mir sein möchte ich nicht. Ganz bei mir sein, das macht Sinn. Auch da sein für andere tut anderen und mir gut.

In einem Begrüssungslied heisst es:

"Ich bin da, Ich bin da, Ich bin da, das ist wahr, das ist wunderbar.
Nicht da oben, nicht da unten, nicht da vorne, nicht da hinten. Nicht daneben, sondern da, das ist wunderbar.
Mit dem Kopfe, mit den Füßen, mit den Händen zu begrüßen. Mit dem Herzen bin ich da, das ist wunderbar.
Um zu hören, um zu sehen, um zu riechen, um zu schmecken. Um zu rufen, ich bin da, das ist wunderbar."

Ich wünsche dir heute, dass du da bist, ganz bei dir, ganz bei den Mitmenschen und ganz erfüllt vom Wissen, das Gott immer bei dir und da ist.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 14. Juli 2025

Tag der Nonbinarität und Geschlechteridentitäten

Ein Zitat

Beim Rotschenkel (hier im Neeracherried) ist homosexuelles Verhalten nachgewiesen.
Foto © Jörg Niederer
"Weshalb fällt es uns oft so schwer, andere einfach so zu akzeptieren, wie sie sind?" Steph Pfenninger Schait

Ein Bibelvers - Genesis 1,20+21

"Gott sprach: 'Das Wasser soll von Lebewesen wimmeln, und Vögel sollen fliegen über der Erde und am Himmel!' Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle Arten von Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt. Er schuf auch alle Arten von Vögeln. Und Gott sah, dass es gut war."

Eine Anregung

Die Natur kennt viele Geschlechteridentitäten. Ob man das nun wahrhaben will oder nicht, es ist Realität. Da wechseln Tiere im Verlauf ihres Lebens das Geschlecht, (Clownfisch, Bartagame), oder verändern ihr Aussehen zum anderen Geschlecht (Stockente) um in Ruhe gelassen zu werden. Andere leben Jahrelang in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft (etwa Höckerschwäne). Bestimmte Pilze wie der Gemeine Spaltblättling kennen viele tausend Geschlechter, und der Morphofalter oder Rotkardinal (ein Vogel) können im wahrsten Sinn des Wortes eine weibliche und einen männliche Seite haben, was sich auch in der Einfärbung der Flügel oder Federn abzeichnet. Wieder andere Tiere zeigen deutliches homosexuelles Verhalten. So der hier abgebildete Rotschenkel oder auch Delfine. 

Mit anderen Worten: Nonbinarität ist natürlich. Das mag auch heute, am Tag der Nonbinarität, noch nicht überall angekommen sein. Aber es gibt eben mehr in Fauna und Flora, als dass der Mensch sich denken kann.

Allein die am häufigsten vorkommende Sexualität zur Norm zu erklären mag naheliegend sein, wird aber der Wirklichkeit nicht gerecht. Es ist nicht der Straussenvogel (bei dem übrigens die Männchen die Eier ausbrütet und die Jungen danach betreuen - also selbst das Rollenmuster variiert in der Natur!), der seinen Kopf in den Sand steckt, sondern noch immer sind es eine grosse Zahl von Menschen, die sich hier etwas vormachen und blind sind für die vielgestaltige Wirklichkeit.

Angesichts dieser Vielfalt an Geschlechteridentitäten glaube ich nicht an Zufall. Was in solcher Häufigkeit und Variabilität vorkommt, passt zur Vielgestaltigkeit der Schöpfung, wie sie uns auch in der Bibel beschrieben wird. Vielfalt ist ein Leitmotiv bei der fortdauernden göttlichen Erschaffung der Welt.

Ich verstehe das Leben so, wie es die nonbinäre Pfarrperson Steph Pfenninger Schait in einem Artikel, erschienen bei ref.ch, beschreibt, nämlich "...dass Vielfalt nichts Bedrohliches, sondern etwas Schönes ist. Etwas, das weder bekämpft noch bloss toleriert oder akzeptiert werden sollte, sondern gefeiert gehört."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen