Mittwoch, 29. Januar 2025

Endstation Bahnhof Zürich-Oerlikon

Ein Zitat

Der Bahnhof Zürich-Oerlikon.
Foto © Jörg Niederer
"Die Belohnung für Geduld ist Geduld." Augustinus von Hippo (354-430)

Ein Bibelvers - 1. Thessalonicher 5,14

"Ermutigt die Ängstlichen, kümmert euch um die Schwachen, und habt Geduld mit allen."

Eine Anregung

Es gibt Redensarten, die man immer in ganz bestimmten Momenten zitiert. "Es kommt immer alles zusammen!", wäre so eine. Oder "Wenn schlecht, dann aber richtig!" Auch: "Ein Unglück kommt selten allein."

Letzteres führte vor einigen Tagen dazu, dass ich vorerst am Bahnhof Zürich-Oerlikon strandete. An dem Ort, an dem sich eine Mitreisende bitte beklagte: "Also das ist das letzte Mal, dass ich mit der Bahn gefahren bin."

Nun kann man gegen die Schweizerischen Bundesbahnen eigentlich nur wenig sagen. Vielleicht, dass sie beim Ländervergleich nur den dritten Platz in Sachen Pünktlichkeit einnehmen. Wie aber ist es dazu gekommen, dass ich für einmal an einem Ort ausstieg, wo ich gar nicht hinwollte?

Es begannt schon bei der Abfahrt in Frauenfeld. Der Schnellzug hatte wegen eines anderen Zugs zehn Minuten Verspätung. Zuviel, um den Anschlusszug in Zürich zu erreichen. Doch meist holt die Bahn auf den gut 60 Kilometern den Rückstand wieder auf. Diesmal nicht. So entschied ich mich, bereits in Zürich-Flughafen die Bahn zu wechseln. In der sich vor dem Ausstieg bildenden Schlange schnorrte ich mich bis zur Zugstüre durch, nur um beim Einfahren in den Bahnhof zu sehen, wie sich der Anschlusszug ohne mich in Bewegung setzte. Also nach einem kurzen Augenblick auf dem Perron wieder zurück an meinen bisherigen Sitzplatz im gut gefüllten Zug.

"Steige ich halt in Zürich in einen späteren Zug um", dachte ich, und vertiefte mich wieder in mein Buch. Bis Zürich-Oerlikon ging es dann auch leidlich weiter. Doch dort auf dem Bahnhof war Endstation. An Aussteigen war nicht zu denken, blieben die Türen doch verschlossen. Bei der Durchsage meinte der Zugsbegleiter: "Zu all den Problemen die wir sonst schon haben, ist nun noch eine Türstörung hinzugekommen. Wir sind dabei, das Problem zu beheben. Bitte steigen sie aus Sicherheitsgründen nicht aus." Letzteres war eine überflüssige Warnung, was aber Fahrgäste nicht daran hinderte, es dennoch zu versuchen. Durchs Fenster beobachtete ich, wie ein Zug nach dem andern sich Richtung Zürich in Bewegung setzte. Nur wir blieben, wo wir waren. Eine halbe Stunde später dann erneut eine Durchsage: "Das Problem mit der Tür konnte nicht gelöst werden. Der Zug kann nicht mehr weiterfahren. Bitte steigen Sie alle aus. Wir bitten Sie für die Unannehmlichkeiten um Verzeihung."

Was also tun, bis zur Weiterfahrt 40 Minuten später mit einem hoffentlich besser funktionierenden Schienenfahrzeug? "Tee trinken und abwarten", hätte der Brite gesagt. Ich dagegen habe mich für Kaffee entschieden und für neugierige Blicke auf das Treiben am Bahnhof Oerlikon. Dort ist mir noch eine andere Redensart eingefallen: "Es kommt, wies kommt." Dann dachte ich an die Staustunden der Autofahrenden, und übte mich für einmal in bahnverursachter Geduld.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen


Dienstag, 28. Januar 2025

Eine Trost-Geschichte

Ein Zitat

Trauernde auf einem Bänkchen des Friedhofs Huttwil.
Foto © Jörg Niederer
"Die Bäume fragen / von ihnen lernen / wie sie das machen / einfach zu sein / einfach / sein" Brigitte Enzner-Probst (*1949)

Ein Bibelvers - 2. Korinther 4,6

"Gott hat einst gesagt: 'Aus der Dunkelheit soll ein Licht aufleuchten!' Genauso hat er es in unseren Herzen hell werden lassen. Durch uns sollte das Licht der Erkenntnis aufleuchten: Die Herrlichkeit Gottes sollte sichtbar werden, die uns in Jesus Christus begegnet."

Eine Anregung

Brigitte Enzner-Probst, sie bezeichnet sich selbst als "feministische Theologin", kannte ich bisher noch nicht. Vielleicht habe ich ja schon etwas von ihr gelesen, aber bewusst ist mir ihr Name nicht in Erinnerung geblieben. Von ihr kann man auf dem Friedhof Huttwil eine kurze "Trost-Geschichte" lesen, aus dem Buch "Trauer leben".

 "Ein Mann trauert um seine Frau. Die Ehe war nicht leicht gewesen, aber jetzt vermisst er seine Frau, spürt, was sie ihm bedeutet hat. Der Mann kommt mit der Leere nicht zurecht. Die Spitzendeckchen, die auf Sofa und Sessel liegen, hat seine Frau gestrickt. Daraus fertigt ihm die Tochter eine Decke. Eine Erinnerungsdecke. Immer, wenn es zu einsam und zu schwer für ihn wird, nimmt er die Erinnerungsdecke, schaut sie sich an, nimmt sie in die Hand, erinnert sich an seine Frau. Vor allem schaut er die Rückseite an. Da sind die vielen Fäden, die vernäht worden sind. Das Ganze wirkt wirr und ungeordnet. Von der Oberseite aus aber sieht alles wunderbar und kunstvoll aus.

So wird es auch mit uns sein, denkt der Mann. Hier und jetzt sieht alles wirr und leer aus. Wenn er zurückdenkt an das gemeinsame Leben – da war so viel, wo sie sich nicht verstanden haben, wo es durcheinander ging. Aber einmal wird die Oberseite unseres Lebens sichtbar. Das eigentliche Muster. Die Liebe ohne Hindernis."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Montag, 27. Januar 2025

Kommen und Gehen

Ein Zitat

Skulptur 'Kommen und Gehen' von Roland Fornaro auf dem Friedhof Huttwil.
Foto © Jörg Niederer
"Vielleicht wird nichts verlangt von uns, während wir hier sind, als ein Gesicht leuchtend zu machen, bis es durchsichtig wird." Hilde Domin (1909-2006)

Ein Bibelvers - Psalm 139,7+8

"Wohin könnte ich gehen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deiner Gegenwart? Würde ich in den Himmel steigen: Du bist dort. Würde ich mich in der Unterwelt verstecken: Dort bist du auch."

Eine Anregung

Einzelne Stahldrähte, gebogen zu Konturen eines Menschen in seinen verschiedenen Lebensstadien, das stellt die Skulptur "Kommen und Gehen" von Roland Fornaro auf dem Friedhof Huttwil dar. 

Schon immer haben wir das Leben in Stadien eingeteilt und fantasievoll dargestellt. Die Weise, wie es der Künstler mit dem gebogenen Draht tut, gefällt mir auch deshalb, weil er sich nicht scheut, auch das Ende, den Tod (auf der Fotografie links unten im der Ecke), darzustellen. Dem Kunstwerk beigefügt ist das Gedicht "Jeder der geht, belehrt uns ein wenig" von Hilde Domin: 

"Jeder der geht / belehrt uns ein wenig / über uns selbst.
Kostbarster Unterreicht / an den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar / wie ein See nach grossem Regen, / ehe der dunstige Tag / die Bilder wieder verwischt.

Nur einmal sterben sie für uns, / nie wieder.
Was wüssten wir je / ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen / auf die wir gelegt sind / wenn wir verlassen werden.
Diese Waagen ohne die nichts / sein Gewicht hat.

Wir, deren Worte sich verfehlen, / wir vergessen es.
Und sie?
Sie können die Lehre / nicht wiederholen.

Dein Tod oder meiner / der nächste Unterricht: / so hell, so deutlich, / dass es gleich dunkel wird."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 26. Januar 2025

(M)Ein Glaubensbekenntnis

Ein Zitat

Orgel in der Kirche St. Laurenzen in  St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Ich glaube, dass Gott in Jesus Christus sein letztes, schönstes, tiefstes Wort in diese Welt gesprochen hat. Ich glaube, dass Jesus Christus das Ja zu allem ist, was Gott verheissen hat. Und dass ich in dieser Spur nicht fehl gehe." Beat Grögli, Dompfarrer St. Gallen

Ein Bibelvers - Römer 10,10

"Denn aus dem Herzen kommt der Glaube, der gerecht macht. Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis, das zur Rettung führt."

Eine Anregung

Das OrgelWort in St. Laurenzen und der Kathedrale in St. Gallen ist vorbei. Für alle, die an diesem eindrücklichen Anlass zum Nicaenischen Glaubensbekenntnis nicht dabei sein konnten, und auch nicht die von den vier beteiligten Pfarrpersonen formulierten eigenen Bekenntnissen gehört haben, gibt es hier ein Muster.

In meinem Glaubensbekenntnis geht es vor allem um einen spielerischen Umgang mit der Aussage: "Ich glaube". "Ich glaube, in einigen Stunden wird es Regnen"; so gesagt ist "glauben" eine unsichere Sache, drückt Wahrscheinlichkeit aus, aber nicht mehr. Dagegen will die Aussage: "Ich glaube an Gott" Gewissheit über die Existenz und das Wirken Gottes ausdrücken.

Doch wie wird der Glaube an Gott verstanden und gehört? Hat Gottglauben in der heutigen Zeit noch sein Gewicht, oder ist damit Unsicherheit verbunden?

Hier also eines meiner Glaubensbekenntnisse, so wie ich es beim OrgelWort-Anlass vorgetragen habe: 


Ich glaube an den einen Gott, der alles geschaffen hat,
und ich glaube noch so einiges mehr: 

  • Ich glaube, dass friedlich Schlafen ein Menschenrecht ist.
  • Ich glaube, dass der Mensch von Grund auf gut ist; wenigsten prinzipiell.
  • Ich glaube, dass die Sonne weder im Osten noch an einem anderen Ort auf- oder untergeht.
  • Ich glaube, dass das Leben kein Ponyhof ist, was mir recht ist, da ich nicht reiten kann.
  • Ich glaube, dass da immer irgendwo eine Krähe sitzt.
  • Und ja, auch an Agrarwüsten und die Vergänglichkeit des Matterhorns glaube ich. 

Ich glaube an den einen Jesus Christus, der für uns Menschen gekommen ist,
und ich glaube noch so einiges mehr: 

  • Ich glaube an das Funktionieren des Kanalisationssystems und an die Müllbeseitigung.
  • Ich glaube, dass Glatteis auf dem Gehweg der Gesundheit schadet.
  • Ich glaube, dass auf einen Kilometer Heimweg 500 weggeworfene Zigarettenstummel kommen.
  • Ich glaube, dass der 'Kater' nach durchzechter Nacht tausendfüssig daherkommt.
  • Und ja, auch an den menschbewirkten Supergau und die kommende Herrschaft der Kakerlaken glaube ich.

Ich glaube an die Heilige Geistkraft, die lebendig macht,
und ich glaube noch so einiges mehr:

  • Ich glaube an unnützes Wissen.
  • Ich glaube an die Vorherrschaft der Banalität.
  • Ich glaube, dass Pellkartoffeln überbewertet sind.
  • Ich glaube an Sixpacks im Getränkeregal.
  • Ich glaube, dass weder ärgern noch nicht ärgern etwas bring.
  • Ich glaube, dass es immer irgendwie weitergeht, bis es hier auf dieser Erde nicht mehr weitergeht. 

Und ich glaube, dass all das sein muss, um Gott als den zu erfahren, der mit mir und nicht über mich lacht.
Ja, ich glaube an Gott, welche mich leise, schrill, laut und bunt lehrt zu sein, wie ich nun einmal bin. Ich glaube viel, aber einer Sache bin ich mir ganz gewiss: Gott liebt die Welt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 25. Januar 2025

Loslassen

Ein Zitat

Skulptur 'Loslassen' von Niklaus Wechsler aus Eriswil auf dem Friedhof Huttwil.
Foto © Jörg Niederer
"Besser zu sterben, wenn man noch voller Wünsche ist, als nicht sterben zu können, wenn man keine Wünsche mehr hat." Grabinschrift auf dem Friedhof Huttwil

Ein Bibelvers - 1. Mose 28,3

"Der allmächtige Gott segne dich. Er mache dich fruchtbar und schenke dir viele Nachkommen. So werden viele Völker aus dir hervorgehen."

Eine Anregung

Kennst du Mascha Kaléko? Sie lebte von 1907 bis 1975? 50 Jahre nach ihrem Tod ist sie noch immer die Dichterin nach Goethe mit der höchsten Buchauflage im deutschsprachigen Raum. Ihr Grab findet sich auf dem israelitischen Friedhof Friesenberg in Zürich.

Der Zufall will es, dass ich folgendes Lied von ihr auf dem Friedhof Huttwil las, und gleichzeitig ein Artikel über sie auf dem reformierten Newsportal ref.ch veröffentlicht wurde.

Südpolen, Berlin, New York, Jerusalem und Zürich waren ihre Lebensstationen. Heimatlosigkeit führte sie zur Aussage: "Zur Heimat erkor ich mir die Liebe."

Hier also ihr Gedicht "Letztes Lied".

'Letztes Lied' 

Ich werde fortgehn, Kind. Doch Du sollst leben
und heiter sein. In meinem jungen Herzen brannte
das goldne Licht. Das hab ich Dir gegeben,
und nun verlöschen meine Abendkerzen.

Das Fest ist aus, der Geigenton verklungen,
gesprochen ist das allerletzte Wort.
Bald schweigt auch sie, die dieses Lied gesungen
sing Du es weiter, Kind, denn ich muss fort. 

Den Becher trank ich leer, in raschem Zug
und weiss, wer davon kostete, muss sterben …
Du aber, Kind sollst nur das Leuchten erben
und all den Segen, den es in sich trug:

Mir war das Leben wie ein Wunderbaum,
von dem in Sommernächten Psalmen tönen.
– Nun sind die Tage wie geträumter Traum;
Und alle meine Nächte, alle – Tränen.

Ich war so froh. Mein Herz war so bereit.
Und Gott war gut. Nun nimmt er alle Gaben.
In Deiner Seele, Kind, kommt einst die Zeit,
soll, was ich nicht gelebt, Erfüllung haben.

Ich werde still sein; doch mein Lied geht weiter.
Gib Du ihm deinen klaren, reinen Ton.
Du sei ein grosser Mann, mein kleiner Sohn.
Ich bin so müde - aber Du sei heiter.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 24. Januar 2025

Ich habe keine Angst!

Ein Zitat

Stele von Ueli Hausmann auf dem Friedhof in Huttwil.
Foto © Jörg Niederer
"Deine Geduld / ist der Boden, auf dem ich wachse.
Deine Liebe / ist die Wärme, in der ich blühe.
Deine Nähe / ist die Glut, in der ich reife.
Deine Gnade / ist der Korb, in den man mich erntet. 
Deine Vergebung / ist die Erde, in die man mich legt.
Ich habe keine Angst."
Gerhard Engelsberger (*1948)

Ein Bibelvers - Psalm 56,4+5

"Doch heute, wenn ich mich so fürchte, setze ich mein Vertrauen auf dich. Auf Gott – ich preise sein Wort: Auf Gott vertrau ich und fürcht mich nicht! Was können mir Menschen schon antun?"

Eine Anregung

Eine Stele, perfekt geformt vom Huttwiler Ueli Hausmann, steht aufrecht auf dem Friedhof. Stabil, kraftvoll. So leicht kann sie nichts erschüttern oder umwerfen.

Diese Sicherheit spürt man auch in den Worten von Gerhard Engelsberger. Sein Gedicht "Ich habe keine Angst" verknüpft Werden und Vergehen mit Gott, ohne diesen zu nennen.

Habe ich Angst vor dem Tod? Finde ich die Kraft zu sagen: "Deine Gnade ist der Korb, in den man mich erntet. Deine Vergebung ist die Erde in die man mich legt."?

Gott der Geduld, der Liebe, der Nähe, der Gnade, der Vergebung, nimm mir die Angst vor dem, was letztlich kommen wird.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 23. Januar 2025

Stafette

Ein Zitat

Vermutlich Skulptur 'Seelen-Weg' von Roland Fornaro, Eriswil auf dem Friedhof in Huttwil
Foto © Jörg Niederer
"wie die Läuferinnen einer Stafette / sind die Stunden des Tages / dem Abend entgegengelaufen
nun dunkelt es ein
während die elektrischen Licher aufflammen / hoffen wir / dass du den glimmenden Docht / nicht auslöschen wirst
wie die Läuferinnen einer Stafette / laufen die Tage unseres Lebens / dem Ende entgegen / dem grossen Lichterlöschen
während es finster wird / beten wir / dass Glaube Hoffnung und Liebe / Zukunft haben / glauben wir / dass du diese Welt nicht fallen lässt / sondern bei uns bleibst / wie Jesus versprochen hat / alle Tage alle Nächte / und immer
wie die Läuferinnen und Läufer einer Stafette / laufen wir Menschen / auf dich zu Gott
in deinem Licht / sehen wir das Licht / und finden das Leben"
Elisabeth Bürki-Huggler, ehem. Spitalpfarrerin

Ein Bibelvers - Psalm 25,4+5

"Zeige mir deine Wege, Herr, und lehre mich, deinen Pfaden zu folgen! Lass mich nach deiner Wahrheit leben und lehre mich! Denn du bist es, Gott, der mir hilft!"

Eine Anregung

Zuerst noch einmal der Hinweis auf das "OrgelWort". Es findet heute um 18.00 Uhr in der Kirche St. Laurenzen und anschliessend in der Kathedrale in St. Gallen statt. Dabei geht es musikalisch-literarisch um Glaubensbekenntnisse. Ein Leckerbissen im Rahmen der Gebetswoche zur Einheit der Christen 2025. Alle weiteren Infos findest du im Beitrag vom Mittwoch, 22. Januar 2025.

Dann fahre ich fort mit Texten und Skulpturen, die auf dem Friedhof Huttwil zu finden sind. Eindrücklich, wie Elisabeth Bürki-Huggler den Weg der Menschen als Stafette beschreibt (siehe oben!). Auch die Skulptur "Seelen-Weg", so vermute ich, von Roland Fornaro, zeigt, wie ein Leben über weite Strecken geradlinig vorangeht, um dann in den letzten Jahren sich verstärkt in Suchbewegungen fortzusetzen. Da, wo diese Suche endet, strahlt uns das Blau des Himmels entgegen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 22. Januar 2025

OrgelWort

Ein Zitat

Beim Brunnen sprudelt das eiskalte Wasser, während sich Trauernde auf dem Friedhof Huttwil versammeln.
Foto © Jörg Niederer
"Die Mutigen wissen / Dass sie nicht auferstehen / Dass kein Fleisch um sie wächst / Am jüngsten Morgen / Dass sie nichts mehr erinnern / Niemandem wiederbegegnen / Dass nichts ihrer wartet / Keine Seligkeit / Keine Folter / Ich / Bin nicht mutig." Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)

Ein Bibelvers - Römer 10,9+10

"Wenn du also mit deinem Mund bekennst: 'Jesus ist der Herr!' Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst: 'Gott hat ihn von den Toten auferweckt!' Dann wirst du gerettet werden. Denn aus dem Herzen kommt der Glaube, der gerecht macht. Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis, das zur Rettung führt."

Eine Anregung

Über den Friedhof Huttwil verteilt finden sich Texte über Sterben und Tod, über Abschied, Hoffnung und Vergänglichkeit. Sie werden begleitet von Kunstwerken regionaler Kunstschaffender. So auch das oben abgedruckte eindrückliche Gedicht von Marie Luise Kaschnitz. In den kommenden Tagen werde ich einige Impressionen und Texte vom Friedhof Huttwil hier wiedergeben. Doch heute geht es mir auch besonders um den Hinweis auf das "Ökumenische OrgelWort" von morgen Donnerstag. Es beschäftigt sich mit dem Glaubensbekenntnis. Der eigene Glauben hat ja auch viel zu tun, wie ich durchs Leben und besonders durch die letzte Zeit meines Seins auf dieser Erde gehe.

Das "Ökumenische OrgelWort" nimmt das Glaubensbekenntnis von Nicäa auf. Vor 1700 Jahren entstanden wird es noch heute in vielen christlichen Kirchen gesprochen. Es beginnend mit den Worten: "Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen." 

Ist die Sprache dieses Bekenntnisses noch zeitgemäss? Ist der Inhalt noch stimmig? Was davon glaube ich und wie würde ich es in Worte fassen? Dieser Herausforderung stellen sich Dompfarrer Beat Grögli, Laurenzenpfarrerin Kathrin Bolt, Jörg Niederer, Pfarrer der Evangelisch-methodistischen Kirche sowie Peter Grüter, Pfarrer der christkatholischen Kirchgemeinde.

Im sogenannten "Ökumenischen OrgelWort", einer zweiteiligen musikalisch-literarischen Feier, werden die vier Pfarrpersonen je ihr persönliches Glaubensbekenntnis vorlesen. Dazu musizieren die beiden versierten Hausorganisten; Bernhard Ruchti in der Laurenzenkirche und Christoph Schönfelder in der Kathedrale. Das "Ökumenische OrgelWort" ist ein Beitrag zur Gebetswoche zur Einheit der Christen 2025. 

Es findet statt in St. Gallen am Donnerstag 23. Januar, 18.00 Uhr in der Kirche St. Laurenzen und anschliessend in der Kathedrale. Im Anschluss sind alle zu Maroni und Punsch eingeladen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 21. Januar 2025

Fiat Libri

Ein Zitat

Die Karosserie eines Fiat Topolino vor einem Bibelvers der Agentur C.
Foto © Jörg Niederer
"Was ist ein FIAT auf einem Berg? Ein Wunder!" Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Genesis 1,3

"Gott sprach: 'Es soll Licht werden!' Und es wurde Licht."

Eine Anregung

Schauen wir die Welt doch einmal auf Lateinisch an. Da wäre die etwas ramponierte Karosserie eines Autos der Marke Fiat. Fiat kommt aus dem Lateinischen und heisst übersetzt: "es geschehe", "es werde". Wahrscheinlich kommt dir jetzt auch die neureligiöse Bewegung "Fiat Lux" von Erika Bertschinger-Eicke alias Uriella in den Sinn. "Es werde Licht" könnte man "Fiat Lux" folglich übersetzten, eine Aussage aus dem ersten Schöpfungsbericht der Bibel. Da steht in 1. Mose 1,3: "dixitque Deus fiat lux et facta est lux". Das versteht man, auch wenn man kein Latein spricht.

In unserem Fall handelt es sich bei der Karosserie um einen Fiat Topolino. In dieser Bezeichnung ist nun Latein mit Italienisch vermischt. "Topolino" ist Italienisch und bedeutet "Mäuschen". "Lass es ein Mäuschen werden" könnte man nun übersetzten. Vielleicht ein Gedanke der Designer dieses Kultautos. Die könnte sich gesagt haben: "Lass es klein werden".

Mir wurde diese Autohülle zu einem "kleinen Lichtanzünder", führte mein Blick doch darüber hinweg zu jenem Bibelspruch an der Mauer des angrenzenden Hauses. "Bibel" ist altgriechisch. Das bedeutet ja bekanntlicherweise auf Deutsch "Buch" oder auf Lateinisch "libri". Damit wären wir also bei der heutigen Überschrift "Fiat Libri". Das ist keine Automarke, sondern der Hinweis: "Es werde Bibel".

Es könnte aber auch ganz anders sein. Der Friedhof von Huttwil ist nur wenige Schritte weg von dieser Strassenrandszene, die auf dem Foto abgebildet ist. Vielleicht habe wir es hier ja mit einem Autofriedhof zu tun. Dazu würden Bibelverse auch passen. In unserem Fall ist die Aussage auf dem Plakat der Agentur C in Römer 5,1 zu finden: "Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus." Da kann man nur sagen: "Lieber Fiat Topolino, ruhe in Frieden!" Vielleicht bis zu einer nicht allzu fernen Auferweckung in der Autowerkstatt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 20. Januar 2025

Hochzeit im Winter

Ein Zitat

Schellenten zwischen Altnau und Güttingen am Bodensee.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn man im Mittelpunkt einer Party stehen will, darf man nicht hingehen." Audrey Hepburn (1929-1993)

Ein Bibelvers - Psalm 95,6

"Kommt, wir wollen uns niederwerfen und beten! Lasst uns vor dem Herrn niederknien, vor unserem Schöpfer!"

Eine Anregung

Eine männliche und fünf weibliche Schellenten in ihrem Hochzeitsgefieder schwimmen an mir vorbei. Es sind Wintergäste am Bodensee. Jetzt im Januar geht die Paarung los. Das heisst, die Zugvögel haben es gerade gut. Sie sind im Süden, da wo es wärmer ist. Sie geniessen die aufregende Zeit der Paarbildung. Das ist vielleicht vergleichbar, wie wenn wir im Sommer irgendwo im Süden Strandferien und Party machen, um uns näher zu kommen. Ausgebrütet wird dann Zuhause im Norden, in Deutschland und Skandinavien etwa. Schellenten sind Höhlenbrüter, die ihre Nester weit oben in Bäumen anlegen. Die frisch geschlüpften Entchen müssen sich bereits nach einem Tag zwischen sechs und acht Meter in die Tiefe stürzen, um ihr Leben auf dem Wasser beginnen zu können. Da sie sehr leicht sind, überleben sie diesen Sprung meist problemlos. Dann geht der Marsch zum Wasser los, eine der gefährlichsten Zeiten für die kleinen bauschigen Vögelchen. Greifvögel, Füchse, Marder und Hermeline haben frisch geschlüpfte Schellenten zum Fressen gern.

Als Tauchenten verbringen die Vögel bis zu sechs Stunden pro Tag unter Wasser, wobei sie diese Zeit in 20-Sekunden-Tauchgängen aufteilen und bis 6 Meter tief tauchen. Tausende Wasserinsekten mit einem Gesamtgewicht von 170 Gramm sammelt eine Schellende täglich auf diesen Tauchgängen, um mit ihnen ihren Nahrungsbedarf zu decken.

Hochzeit im Winter: Wann und wo ist deine Hoch-Zeit?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 19. Januar 2025

Abendmahl

Ein Zitat

Glasfenster der Katholischen Kirche St. Johannes der Täufer in Weinfelden.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn wir sagen, dass das Abendmahl auf das Gebot Christi zurückgeht, dann kann niemand christliche Frömmigkeit für sich beanspruchen, der es nicht so oft wie möglich empfängt." John Wesley (1703-1791)

Ein Bibelvers - Johannes 15,5

"Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts erreichen."

Eine Anregung

Beim Abendmahl steht der sich den Menschen hingebende Christus im Zentrum. Das Glasfenster der Katholischen Kirche St. Johannes der Täufer in Weinfelden stellt diese Hingabe Christi als Kreuzigungsszene dar.

Diesen Sonntag feiern wir das Abendmahl in der Methodistenkirche St. Gallen. Dazu gibt es eine Predigt zur aktuellen Jahreslosung über 1. Thessalonicher 5,21. Wer gerne dabei sein möchte, auch zum Abendmahl, ist herzlich an die Kapellenstrasse 6 eingeladen. Der Gottesdienst beginnt um 10.15 Uhr.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 18. Januar 2025

Maria Theresias letzte Fahrt in die Gruft

Ein Zitat

Warnung an der Fahrstuhltür, dass der Lift ausser Betrieb ist.
Foto © Jörg Niederer
"Einen Fahrstuhl zum Glück gibt es nicht, man muss die Treppe nehmen." Phil Bosmans (1922-2012), belgischer Ordenspriester

Ein Bibelvers - Hiob 19,25

"Aber ich weiss, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben."

Eine Anregung

Es ist eine seltsame Sache. Das, was wir heute Fahrstuhl nennen, hat nichts mit einem Stuhl zu tun. Und das, was wir Fahrstuhl nennen könnten, den Treppenlift, nennen wir in Entlehnung aus dem Englischen Lift. Der Aufzug, Gemäss DIN-Norm die offizielle Bezeichnung, wiederum ist zugleich auch Abzug. Ein Abzug hat wiederum nichts mit dem Fahrstuhl zu tun und auch nichts mit einem Zug. Da geht es um die Be- und Entlüftung von Räumen. Noch eine Ungereimtheit: Die Warnung auf dem Foto, dass der Lift nicht betreten werden dürfe, wird damit begründet, dass am Aufzug gearbeitet werde. Das stimmt zwar für den Montag. Aber kein Mensch arbeitete am Samstag und Sonntag an dieser technischen Errungenschaft. Am Wochenende hätte es heissen müssen: "Wir sind im Wochenende. Sie dürfen Treppen steigen."

Hebevorrichtungen sind schon sehr alt und basieren auf dem Flaschenzug von Archimedes. Das war wohl so um 236 vor Christus. Erste Personenaufzüge, in denen auch wilde Tiere befördert wurden, gab es um 80 n.Chr. im Kolosseum in Rom.

Die Bezeichnung "Fahrstuhl" wird mit der Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) in Verbindung gebracht. Für sie soll man im Westflügel von Schloss Schönbrunn in Wien einen Stuhl eingebaut habe, mit dem sie von Stockwerk und Stockwerk befördert wurde. Verbürgt ist auch der Fahrstuhl in der Kapuzinergruft, der Grabstätte der Habsburger in Wien. 15 Jahre lang besuchte die Kaiserin dort das Grab ihres verstorbenen Gemahls Franz Stephan, was ihr mit der Zeit zu Fuss die Treppe hinunter und wieder hinauf nicht mehr gut gelingen wollte. Also liess sie sich auf einem Stuhl an Seilen hinunter in die Gruft und auch wieder hinaufziehen. Das war der eigentliche erste Fahrstuhl. Es war im Jahr 1780, als nach dem Besuch des Grabs auf halber Höhe hinauf eines der Fahrstuhlseile riss, und die alte Dame zwischen Decke und Boden in der Luft hing, ohne Möglichkeit, sich zu befreien. Eine halbe Stunde habe es gedauert, bis man den Aufzug wieder repariert hatte. Sicher auf dem Boden angekommen meinte die Kaiserin: "Das war ein Zeichen. Die Gruft will mich halt nimmer hergeben." Drei Wochen später verstarb sie am 29. November 1780. Es ist nicht überliefert, ob der Sarg per Fahrstuhl in die Gruft hinuntergelassen worden war.

Zurück zum kaputten Aufzug bei uns im Haus. Vom Keller bis zu uns hinauf unter dem Dach sind es gerade einmal 4 Stockwerke. Zu Fuss ist das schon noch zu bewältigen. Zum Glück wohne ich nicht zuoberst im Empire State Building oder im Burj Khalifa.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 17. Januar 2025

Ein grosser Haufen Ärgernis?

Ein Zitat

Jemand hat dem Schneehaufen vor der Hauptpost beim Bahnhof St. Gallen seine Stimme geliehen.
Foto © Jörg Niederer
"Gemäss Definition ist Schnee, der mehr als ein Jahr alt ist, Gletscher." Aus dem Tagblattartikel "So bewahrt man den Schnee: Glaziologe Matthias Huss hat einen kleinen Gletscher im Garten"

Ein Bibelvers - 1. Mose 1,2

"Die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag über dem Urmeer. Über dem Wasser schwebte Gottes Geist."

Eine Anregung

Für einmal ist es kein Hundekothaufen, der in St. Gallen zu reden gibt. Zumindest einer Person ist der zwei, drei Meter hohe Altschneeberg bei der Hauptpost am Bahnhof St. Gallen sauer aufgestossen. So zumindest interpretiere ich die Energie, die in diese Kartonbeschriftung gesteckt wurde: "Danke SG dass ich soo lange hier sein darf!!!". "soo" mit zwei Os und drei Ausrufezeichen, aber kein Komma vor "dass". Man könnte nun auch über das Plakat selbst nörgeln und dabei von Littering sprechen, dem unerlaubten entsorgen von Sperrgut und Karton.

Oder verstehe ich die Anschrift falsch? Waren das Kinder, die sich wirklich über diesen schmutzigen Altschneeberg freuen? In Davos wäre wohl so etwas nicht geschehen. Die haben überall hohe Schnee-Abräumhalden. Aber vielleicht ist das ja auch das Schneedepot für das kleinste Skigebiet der Welt an der Schneebergstrasse in St. Gallen. "Schneebergstrasse"; Nomen est Omen! Dahin gehören die Schneeberge, an die Schneebergstrasse!

Oder ist es eine Dependence von Glaziologe Matthias Huss, der im Garten auf 500 Metern über Meer einen eigenen Gletscher einrichtet und ihn vom Abschmelzen so lange wie möglich zu schützen versucht? 

Zurück zum Altschneeberg in zentraler Lage bei der Hauptpost. Vermutlich macht es mehr Sinn, den Schnee an dieser Stelle langsam aber sicher schmelzen zu lassen, bis er eben "Schnee von Gestern" geworden ist. Solcher Altschnee ist jeweils stark belastet mit Schadstoffen, die durch den Strassenverkehr anfallen. Wenn er in Form von Schmelzwasser in die städtische Kanalisation gelangt, wird er wohl weniger Schaden anrichten, als wenn man ihn bei der Martinsbrücke in die Goldach schüttet. Zudem würde der Abtransport des Altschnees zu mehr LKW-Verkehr führen und Arbeitskräfte unnötig für etwas binden, das von ganz allein verschwindet.

Wer weiss, möglicherweise kommt die Zeit, in der wir alle uns wieder Altschneehaufen wünschten mitten in der Stadt. Bis dahin freue ich mich an der durch Ärger erzeugten Kreativität von Menschen. Eine Steilvorlage für diesen Beitrag. "Sich Ärgernde aller Nationen vereinigt euch und werdet kreativ!"

Vielleicht ist so ja auch die Welt entstanden. Gott ärgerte sich über diese unglaublich verschwenderische Leere, dieses Nichts, das da einmal war: "Da muss ich etwas machen", sagte er/sie sich und steckte eine Kartonbeschriftung in das leere Nichts. Darauf stand: "Danke, dass ich hier soo lange bleiben darf!!!"

 Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 16. Januar 2025

Die Ukraine, in ihrer ganzen Schönheit

Ein Zitat

Eine deutsche Dogge vergnügt sich in einem Kornfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben." Zitat von Primo Levi (1919-1986) aus dem Jahr 1986 über den Holocaust

Ein Bibelvers - Jesaja 17,9

"Zu der Zeit sind Israels befestigte Städte verlassen. Es geht ihnen wie den Städten der Hiwiter und Amoriter, die diese einst den Israeliten hinterließen. Es entsteht eine menschenleere Wüste."

Eine Anregung

Ich war noch nie in der Ukraine und habe die unglaublich weitläufige Landschaft mit den Getreidefeldern bis zum Horizont noch nie selbst erlebt. So behelfe ich mir für diesen Beitrag mit einem Foto einer Deutschen Dogge in einem Thurgauer Getreidefeld.

Die ukrainische Landschaft ist mir durch die Beschreibungen von Primo Levi so vertraut, als wäre ich dort gewesen. In seinem Buch "Die Atempause" beschreibt er eindrücklich seine Befreiung aus dem Konzentrationslager Auschwitz, und wie er gemeinsam mit einigen anderen dem Tode Entronnenen die 4 monatigen Heimreise via Polen, die Ukraine, Rumänien und Ungarn zurück nach Italien erlebte. Es sei eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens gewesen, als er durch diese weite Kornkammer Europas reiste.

Daran wurde ich erinnert, als ich den Kurzfilm "1 million bombs before" von Vlad Vasylkevych gesehen habe. Er gewann mit dem Film die Drone Photo Awards 2024. Darin wird die Ukraine in ihrer ganzen Vielfalt aus der Vogelperspektive gezeigt, so wie sie war, bevor der Krieg mit Bomben und Tod weite Teile des Landes ruinierte.

Der Frieden, den Primo Levi auf seiner Reise zurück ins Leben in der Ukraine erlebte, ist Vergangenheit. Die Gegenwart ist eine andere, eine, in der viele Ukrainer:innen die weiten Kornfelder hinter sich lassen müssen und auf eine Odyssee aus der Kriegsgefahr aufgebrochen sind.

Ich schaue mir den Kurzfilm an, ein Ausschnitt aus dem gesamten Film, in dem sich alles rückwärts bewegt, zurück in eine Zeit, als noch nicht Millionen von Bomben tiefe Narben in der Landschaft und Seele der Menschen hinterlassen haben. Ich nehme mir die Bilder zum Anlass, für die Menschen in der Ukraine zu beten, auch für die Methodist:innen dort, für den Distriktsvorsteher Oleg Starodubets mit seiner Familie, für die Familien der Kriegsopfer, für die Geflüchteten, für den Frieden und dass die Hoffnung und Schönheit nicht stirbt in der hart geprüften Ukraine. Möge bald die Zeit kommen, in der sich das Leben in der Ukraine wieder zum Guten wendet.

 Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 15. Januar 2025

Der Friseur und Gott

Ein Zitat

Beim Friseur.
Foto © Jörg Niederer
"Der beste Schutz gegen Haarausfall ist eine Glatze." Telly Savalas, glatzköpfiger Schauspieler (1922-1994)

Ein Bibelvers - 2. Samuel 10,4+5

"Da ließ Hanun die Gesandten Davids festnehmen und ihnen den Bart zur Hälfte abscheren. Auch ihre Kleider ließ er zur Hälfte abschneiden, nämlich bis hinauf zum Gürtel. So schickte er sie weg. Als die Nachricht davon David erreichte, schickte er ihnen jemanden entgegen. Denn die Männer schämten sich sehr."

Eine Anregung

Heute gibt es eine Geschichte, die mir über Umwege in die Hände gekommen ist. Zu finden ist sie im Pfarrbriefservice. Der Autor ist unbekannt. 

"Ein Mann ließ sich seine Haare schneiden und seinen Bart trimmen. Der Friseur sprach während seiner Arbeit mit dem Kunden über viele Dinge, wie Friseure es halt so tun. Auch über Gott.

'Ich glaube, dass Gott nicht existiert!', meinte der Friseur. 

'Warum?', fragte der Kunde. 

'Sie müssen nur auf die Straße gehen. Wenn Gott existieren würde, gäbe es dann so viele kranke Leute? Würde es so viele Kinder geben, die verlassen wurden? Würde es so viel Leid und Schmerzen geben? Gäbe es einen Gott, würde er alle diese Dinge nicht zulassen!' 

Der Kunde antwortete nicht. Die Haare waren geschnitten. Der Bart war gestutzt und der Friseur entlohnt.

Auf der Straße begegnete der Kunde einem Mann mit langen, schmutzigen Haaren und ungepflegtem Bart. Er ging zurück und sagte zum Friseur: 'Friseure existieren nicht! Es gibt keine Friseure!'

'Wie kommen Sie darauf? Ich habe Ihnen doch kurz vorher die Haare geschnitten und den Bart getrimmt!'

Der Kunde wiederholte: 'Friseure existieren nicht, denn wenn sie existierten würden, gäbe es niemanden mit schmutzigem, langem Haar und eingetrimmtem Bart. Sehen Sie jenen Mann auf der Straße? Gäbe es Sie, würden Sie diese Dinge nicht zulassen!'

'Ach was! Ich existiere! Nur – die Leute kommen nicht zu mir rein!' 

Der Kunde erwiderte: 'Genau! Auch Gott existiert. Nur gehen die Leute nicht zu ihm und suchen ihn nicht. Deswegen gibt es so viel Schmerz und Leid in der Welt.'"

 Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 14. Januar 2025

Gemeinsam auf einem Friedhof

Ein Zitat

Frühmorgens auf dem Friedhof Weinfelden.
Foto © Jörg Niederer
"Anerkennung ist eine Pflanze, die vorwiegend auf Gräbern wächst." Robert Lembke (1913-1989)

Ein Bibelvers - 1. Könige 13,29+30

"Da hob der Prophet den Leichnam des Gottesmannes auf. Er legte ihn auf den Esel und nahm ihn mit zurück. Als er wieder in seiner Stadt war, trauerte der Prophet um ihn und begrub ihn. Er legte den Leichnam in sein eigenes Grab."

Eine Anregung

Zu einer Zeit, als in der Schweiz sich die Religionslandschaft noch weitgehend christlich zeigte, abgesehen von den ungeliebten schweizerischen Jüdinnen und Juden, verliefen weit heftigere Bruchlinien zwischen den Konfessionen, als dies heute der Fall ist. So war es undenkbar, dass Katholik:innen auf protestantischen Friedhöfen bestattet werden oder anders herum. Damals entstanden erste Methodistengemeinden. Ihren Pfarrern wurde es verboten, Abdankungen auf protestantischen Friedhöfen zu halten. Gläubige dieser damals neuen, aufblühenden Kirche in der Schweiz mussten sich für eine christliche Bestattung an den reformierten Pfarrer wenden. Der war den Methodisten oft ablehnend gesinnt. Aus diesem Grund kaufte etwa die Methodistengemeinde von Rheineck ein Stück Land, um dort ihre Toten "methodistisch" beisetzen zu können. Bevor es aber soweit war, kam eine neue Bundesverfassung und damit wurde das Bestattungswesen verstaatlicht, nicht zur Freude vieler evangelischer und katholischer Christen. Damals wollten Katholik:innen und Protestant:innen noch nicht nebeneinander in den Gräbern liegen, doch genau das brachte das staatliche Bestattungswesen mit sich. Ein Bundesgerichtsurteil bestätigte diese "Ungeheuerlichkeit" und hielt fest, dass im Tod alle gleich seinen, egal aus welchem Stand oder Konfession.

Heute kräht kein Hahn mehr nach getrennten Friedhöfen. Und die Bestattungsarten sind vielfältiger geworden als früher. Zur Erdbestattung ist die Kremation und Beisetzung in Urnengräbern oder Gemeinschaftsgräbern dazugekommen, wobei Urnen auch auf privatem Grund bestattet werden dürfen. Geschichtlich bedingt gibt es bis heute auch Friedhöfe, in denen ausschliesslich jüdische Menschen bestattet werden. Neuere Friedhöfe sehen für jüdische Gräber auch eigene Abteilungen in ihren Friedhofsanlagen vor. Gemeinsam auf einem Friedhof, aber in unterschiedlichen Bereichen, das gibt es auch für Muslime, etwa auf dem Waldfriedhof Meisenhard in Olten.

Genau dieser Wunsch von Muslimen nach einem eigenen Grabfeld auf dem gemeinsamen Friedhof gibt nun in Weinfelden heftig zu reden. Dabei wird, was einst ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Gleichbehandlung von verstorbenen Christ:innen war, nun dazu verwendet, diesen Wunsch der Muslime zu kritisieren. Ein vor 150 Jahren integrierendes Gesetz wird heute für die Rückweisung der Ansprüche einer Religionsgemeinschaft verwendet, die es damals bei uns gar noch nicht gab.

Darf es auf einem Friedhof ausgewiesene Bereiche geben? Keine Frage, die gibt es schon: Urnennischen etwa. Erdgräber von Erwachsenen. In Winterthur auf dem Friedhof kann man sich Urnengräber unter Bäumen aussuchen. Für Kindergräber ausgewiesene Bereiche gibt es auch auf fast allen Friedhöfen der Deutschschweiz. Heisst das, dass Kinder nicht so wichtig sind wie Erwachsene? Doch sicher nicht. Im Gegenteil, man will ihnen besonders gerecht werden.

Rechtlich gesehen könnte ich als Erwachsener nun verlangen, dass ich auch im Bereich der Kindergräber bestattet werde. Denn Grabfelder dürfen nicht ausschliesslich für eine bestimmte Gruppe von Menschen verwendet werden. Das würde auch so sein bei einem islamischen Grabfeld auf dem Friedhof Weinfelden. Auch dort könnten sich Menschen anderer Religion oder Konfession bestatten lassen. Ob sie das wollen? Ich vermute, dass dies überraschend oft geschehen wird, besonders bei religionsgemischten Paaren.

Ich habe grosse Sympathie für den Wunsch der Muslim:innen auf ein eigenes Grabfeld innerhalb des gemeinsamen Friedhofs. Denn genau das drückt doch aus, dass alle dazugehören dürfen, verstorbene Kinder in ihrem Bereich, Erdbestattete in ihrem Bereich, Feuerbestattete in ihrem Bereich, unter Bäume bestattete in ihrem Bereich, jüdische Menschen in ihrem Bereich und auch muslimische Menschen in ihrem Bereich. Denn wenn es zur einer Bestattung kommen muss, dann will man doch nicht streiten, sondern Frieden finden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 13. Januar 2025

Ein wenig Thurgau im Aargau

Ein Zitat

Die Bronzeplastik der römischen Göttin Pomona des Künstlers Eduard Spörri an einer Ecke des Zofinger Stadthauses.
Foto © Jörg Niederer
"Es gibt angesehene Bürger, die niemals auf die Idee kämen, einen Apfel vom Nachbarbaum zu stehlen, aber ihr Geld ins Ausland schaffen, um es vor dem Fiskus zu verstecken." Erwin Huber, deutscher Politiker (*1946)

Ein Bibelvers - 1. Mose 3,2+3

"Die Frau [Eva] erwiderte der Schlange: 'Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen. Nur die Früchte von dem Baum, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott uns verboten. Er hat gesagt: Esst nicht davon, berührt sie nicht einmal, sonst müsst ihr sterben!'"

Eine Anregung

Kennst du Pomona. Bei ihr handelt es sich um die römische Göttin der Baumfrüchte und des Obstes. Also in gewisser Weise eine ideale Göttin für den Apfelkanton Thurgau. Ich bin Pomona in Form einer Skulptur an einem Ort begegnet, an dem ich wohl schon hunderte Male vorbeigegangen bin. Die Bronzeplastik der "Apfelgöttin" vom Wettinger Künstler Eduard Spörri steht auf einem Podest in einer Ecke des Stadthauses von Zofingen. Dort in der Nähe war ich vor einigen Jahren zuhause. Doch erst neulich habe ich mir gesagt: Jetzt schaue ich einmal nach, was diese Bronze darstellen soll.

Sie passt ziemlich gut zu meinem gestrigen Beitrag (Siehe Blog vom 12. Januar 2024!). Denn es geht um Bäume, diesmal speziell um Apfelbäume und deren Früchte. In Ovids nicht jugendfreiem Werk "Metamorphosen" muss Pomona von Vertumnus erst zur Ehe mit ihm überredet werden, was dieser mit dem Verweis auf eine Ulme tut, die mit einer Rebe zusammengewachsen ist.

Die Pomona am Stadthaus Zofingen hält in beiden Händen Äpfel. Sie sind die Merkmale, dass es sich um diese römische Göttin handelt. Mir fällt die Parallele zu den Heiligendarstellungen auf. Auch da gibt es solche Erkennungsmerkmale, die es zulassen, den Heiligen oder die Heilige sicher zu identifizieren. In der Kirchlichen Kunst ist der Apfel eher negativ bewertet. So gehört der Apfel als Attribut zum Heiligen Sabas, der einst trotz bitterem Hunger den saftigen Apfel als Bild der Sünde verschmähte.

Die kirchliche Tradition hat die verbotene Frucht aus der Paradiesgeschichte der Bibel (1. Mose 3) immer als Apfel interpretiert. Er war folglich ein Symbol des Sündenfalls und der Erbsünde. Doch dann gibt es eben auch die Apfelmadonna: Maria mit dem Kind, wobei entweder das Jesuskind oder die Maria einen Apfel in Händen hält.

Mit der Geburt Jesu durch Maria hat diese den Weg zurück ins Paradies vorbereitet. Maria ist die neue Eva, und Jesus der neue Adam. Die Erbschuld ist überwunden. Nun ist der Apfel nicht mehr Zeichen menschlicher Hybris, sondern Ausdruck der Gnade und des Lebens.

Wer mehr über den Apfel und die Apfelmadonna erfahren möchte, findet hier oder da mehr Informationen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 12. Januar 2025

Umarmung

Ein Zitat

Bäume in trauter Zweisamkeit in der Nähe von Oberwinterthur.
Foto © Jörg Niederer
"Wer den Feind umarmt, macht ihn bewegungsunfähig." Nepalesisches Sprichwort

Ein Bibelvers - Prediger 3,1+5

"Für alles gibt es eine bestimmte Stunde. Und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit: ... Eine Zeit, sich zu umarmen, und eine Zeit, sich zu trennen."

Eine Anregung

Zwei Bäume schmiegen sich aneinander und scheinen sich dabei zu umarmen. Das ist bemerkenswert, gibt es doch auch bei Bäumen so etwas wie ein Anstandsabstand, der bis in die Baumkronen reicht. Doch diese zwei Bäume, so verschieden sie sind, mögen sich.

Ich wünsche dir heute, dass du genauso auf deine Kosten kommst bei den Umarmungen, und dass du Menschen an der Seite hast, an die du dich vertrauensvoll anlehnen kannst. 

Vielleicht hat deine heutige Umarmung auch etwas zu tun mit Worten der Bibel, oder mit Begegnungen in der Kirche. Von Gott heisst es ja in Psalm 27,5: "Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 11. Januar 2025

Konzernverantwortung jetzt

Ein Zitat

Nach wie vor hängt das Konzernverantwortungs-Banner von der ersten Initiative vor einem Fenster der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Immer wieder verletzen Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und ignorieren minimale Umweltstandards. Die Konzernverantwortungsinitiative verhindert, dass Konzerne weiterhin Menschenrechte verletzen oder die Umwelt zerstören." Webseite der Konzernverantwortungsinitiative

Ein Bibelvers - Psalm 37,16+17

"Besser das wenige, das ein Gerechter besitzt, als der Reichtum vieler Frevler. Denn die Macht der Frevler wird gebrochen. Aber die Gerechten unterstützt der Herr."

Eine Anregung

2020 scheiterte die Konzernverantwortungsinitiative lediglich am Ständemehr. Nun kommt es zu einer zweiten Auflage. Heute Samstag kann es gut sein, dass sie auf der Strasse angefragt werden, die neue Initiative zur Konzernverantwortung zu unterschreiben. Ich werde selbst auch mithelfen beim Unterschriftensammeln.

Die neue Konzernverantwortungsinitiative will noch immer, dass Schweizer Konzerne dazu verpflichtet werden, Menschenrechte und Umweltbestimmungen einzuhalten sowie klimaschädliche Emissionen zu vermindern. Allerdings kommt die neue Initiative ohne die Schwachpunkte der alten daher. Im Folgenden die Unterschiede:

  • Analog zur Regelung in der EU sollen die Pflichten zur Haftungsregelung nur noch für Konzerne mit mehr als 1000 Mitarbeitenden und einem Umsatze von 450 Millionen Franken gelten. KMUs sind ausdrücklich davon ausgenommen.
  • Neu soll die Beweislast allein beim Kläger liegen. Unternehmen können aber gezwungen werden, die relevanten Dokumente für die Beweisführung herauszugeben.
  • Weiter haftet ein Konzern nur noch für sich und die Tochtergesellschaften, aber nicht mehr für die ganze Lieferkette. Hier geht die EU bei ihren Regelungen weiter.
  • Weiter können nur noch direkt betroffene Menschen klagen, nicht aber NGOs.
  • Neu werden die Konzerne verpflichtet, die CO2-Emmissionen zu reduzieren.
  • Weiter wird, wie auch in der EU, eine unabhängige Aufsichtsbehörde geschaffen, die dafür sorgen soll, dass die Konzerne ihre Pflichten erfüllen. Dieses Aufsichtsorgan würde aus etwa 10 Personen bestehen. Es kann Massnahmen anordnen und Bussen erteilen. 

Ich würde mich sehr freuen, wenn viel Schweizer Stimmberechtigte, die diesen Text hier lesen, die Initiative unterschreiben. Als Kirche sind wir gerade in Ländern des Südens direkt betroffen vom Wirken der Schweizer Rohstoffkonzerne. Da ist es auch eine Frage der Solidarität mit den Geschwistern und Geschädigten, alles zu tun, damit Schweizer Konzerne sich ethisch und menschenfreundlich verhalten. Aus diesem Grund unterstützt auch das Hilfswerk Connexio hope der Evangelisch-methodistischen Kirche die Initiative.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 10. Januar 2025

Freiheit. Solidarität. Verantwortung. - Echt jetzt?

Ein Zitat

Schlagzeile von 20 Minuten am 9. Januar 2025.
Foto © Jörg Niederer
"In dieser Welt der Globalisierung sind wir in die Globalisierung der Gleichgültigkeit geraten. Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt; es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an!" Papst Franziskus am 8. Juli 2013 auf Lampedusa

Ein Bibelvers - Lukas 6,35

Jesus: "Nein! Liebt eure Feinde. Tut Gutes und verleiht, ohne etwas dafür zu erhoffen."

Eine Anregung

Bei der SVP ist es ja klar, genauso wie auch bei der FDP. Aber dass "Die Mitte" auch mitmacht bei der fortlaufenden Entmündigung und Abschreckung von Asylsuchenden, das verstehe ich nicht.

Gestern titelte 20 Minuten auf der Frontseite: "Auch die Mitte will kein Bares mehr für Asylbewerber". Es geht darum, dass Asylsuchende ihre finanzielle Unterstützung nur noch per Debitkarte erhalten. Diese kann nur im Inland genutzt werden und mit ihr kann kein Bargeld bezogen werden. Das soll die Asylsuchenden daran hindern, Geld zu ihren Familien ins Ausland zu überweisen und die Attraktivität als Asylland senken. In Deutschland, wo es schon länger diese Zahlkarten statt Bargeld gibt, wirkt die Abschreckung. Es gäbe freiwillige Ausreisen und Arbeitsmarkteintritte.

Einmal mehr ist die Asylpolitik eigentlich eine Asylverhinderungspolitik. Und "Die Mitte", die sich "Freiheit. Solidarität. Verantwortung." auf die Fahnen geschrieben hat, macht bei diesem unmenschlichen Spiel mit. Es war wohl schon folgerichtig, dass man bei der Namensänderung von der CVP zur Mitte das C für Christlich weggelassen hat. Wer mündige Menschen auf solche Weise bevormunden will, handelt mit Sicherheit nicht im Sinn der christlichen Sozialethik, der die Partei laut Eigenaussagen immer noch verpflichtet sei.

Mir scheint, dass wir heute mit Asylsuchenden auf ähnlich unmenschliche Weise umgehen, wie man vor der Änderung der Bundesverfassung im Jahr 1966 mit der jüdischen Wohnbevölkerung umgegangen ist. Die Politik erfindet immer wieder neue diskriminierende Asylrichtlinien, und immer geht es um Abschreckung und um den Versuch, die Asylströme in andere Teile der Welt zu lenken. Diskutiert wird nicht, wie Flüchtenden geholfen werden kann, sondern wie sie davon abgehalten werden können, zu flüchten, und schon gar nicht hierher in die Schweiz. Der humanitäre Gedanke spielt keine Rolle mehr. Auch die Entwicklungshilfe wird zusammengestrichen und soll nicht an Ländern gehen, die in der Asylpolitik nicht kooperieren. Gemeint ist, dass finanzielle Hilfe nur die Staaten erhalten, welche abgewiesene Asylsuchende zurücknehmen. Ob es Länder sind welche die Menschenrechte mit Füssen treten, spielt bei der Beurteilung keine Rolle.

Wer nun aber die Asylsuchenden gegen die einheimischen Armutsbetroffenen ausspielt, muss wissen, dass die, welche sich diese Unmenschlichkeiten gegen Asylsuchende ausdenken, auch die sind, welche die Sozialhilfe zusammenstreichen, oder wie in der Stadt St. Gallen die 50 Franken Weihnachtsgeld an Sozialhilfeempfangende streichen, und zugleich den Beamten ein Lohnerhöhung gewähren. 

"Die Schweiz kann doch nicht allen helfen", heisst es dann schnell. Das mag stimmen. Aber aktuell geht der Trend in die andere Richtung. Es soll so wenigen Bedürftigen geholfen werden müssen wie nur möglich. Darum versucht man abgewiesene Asylsuchende durch Entzug des Lebensnotwendigen aus dem Land zu treiben. Darum wollte man den Familiennachzug für aufgenommene Asylsuchende verhindern. Darum steckt man Flüchtende weit ab vom Schuss in Heime. Darum werden Menschen inhaftiert, deren einzige Schuld es ist, dass sie hier in der Schweiz um Asyl ersucht haben. Darum überlegen sich westliche Staaten, Asylzentren im Ausland einzurichten.

Zurück zum C und der christlichen Soziallehre. Wie sagte doch Jesus: "Behandelt andere Menschen genau so, wie ihr selbst behandelt werden wollt." (Matthäus 7,12) In der Asyl- und Sozialpolitik sind wir auch in der Schweiz weit von dieser Minimalethik entfernt. Es braucht eine Abkehr vom entmündigenden Umgang mit Hilfesuchenden. Ohne diese Umkehr mag die Schweiz eine christliche Tradition haben, aber um ein christliches Land handelt es sich heute nicht mehr. Dazu fehlt der aktuellen Politik das Wesentlichste: Die Nächstenliebe.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen