Dienstag, 26. November 2024

Verkalktes und Getünchtes

Ein Zitat

Das Industrierelikt des Kalk-Brennofens von Torrazza am Luganersee.
Foto © Jörg Niederer
"Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht." Theodor Fontane (1819-1898)

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 23,3+4

"Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Du sitzt da und richtest mich nach dem Gesetz und lässt mich schlagen gegen das Gesetz? Aber die dabeistanden, sprachen: Schmähst du den Hohenpriester Gottes?"

Eine Anregung

Von ihm gab es sogar einmal eines jener SJW-Hefte, auf welche wir in der Primarschule früher so scharf gewesen sind: Der Kalk-Brennofen von Torrazza. Er steht nahe bei der engsten Stele des Luganersees, bei der Seeenge von Lavena (Siehe Beitrag vom 15. Oktober 2024). 

Der Lost Place erinnert mich an Szenarien aus Videospielen aber auch an ein Mural in Frauenfeld (Beitrag vom 10. August 2023).

Der Kalk-Brennofen ist ein Übrigbleibsel einstigen Kalksteinabbaus am Monte Caslano. Ende des 18. Jahrhunderts gab es dort noch sechs Brennöfen nach altem System. Als Relikt ist davon noch als einziger die Kalk-Brennanlage von Torrazza übrig. Sie ist bereits eine ausgeklügelte Weiterentwicklung. Darin konnte gebrannter Kalk fast wie am Fliessband produziert werden. Der Prozess fand bei bis zu 1500º Celsius statt. Pro 24 Stunden konnte man 10 bis 15 Tonnen Kalk brennen, wobei der Holzverbrauch bei 0,6 Tonnen pro Tonne produzierten Kalkes lag. Der Ofen produzierte hauptsächlich Stückkalk, Kalkhydrat und Düngemittel.

Gebrannt wurde bis 1950. 1976 wurde auch der Kiesabbau im Steinbruch eingestellt. Seit 1989 gehört das Areal der Gemeinde von Caslano. Wer darüber mehr erfahren will, kann eine interessante Arbeit in italienischer Sprache von Roland Hochstrasser aus dem Internet herunterladen, die reich illustriert ist und somit auch aufschlussreich für Italienischunkundige.

Kalk ist in unserer Zeit ein unverzichtbarer Rohstoff, der bei der Stahl- und Glasherstellung, bei der Abwasserreinigung, beim Kampf gegen saure Böden, und noch in vielen anderen Bereichen Verwendung findet. In der Landwirtschaft wird Kalk als Düngemittel gebraucht oder als Unterstützung des Knochenaufbaus den Futtermitteln beigefügt. 

Auch aus biblischen Zeiten kennen wir die Verwendungen von Kalk. In Babylon waren Wände des Königspalasts mit Kalk verputzt (Daniel 5,5). Auch wurde nach 5. Mose 27,2-4 und Josua 8,32 die Steine, auf die das Gesetz Gottes geschrieben wurde, mit Kalk grundiert. Jesaja 33,12 nimmt die Hitze und das Feuer beim Kalk-Brennvorgang auf, um Gericht anzukündigen.

Bekannt ist auch der Vorwurf von Jesus an die Gesetzeslehrer und Schriftkundigen, sie würden getünchten, also mit Kalk verputzten Gräbern gleichen. Von aussen seien sie schön anzusehen, doch inwendig voller Totengebeine (Matthäus 23,23-28). In die selbe Richtung, als Beschimpfung, ist auch die Aussage 'du getünchte Wand' von Paulus an die Adresse des Hohepriesters zu verstehen.

Ob ich je einmal jemandem sage, er sei wie eine getünchte Wand - ich vermute eher nicht. Obwohl, da gibt es schon einige, die viel Wert auf Äusserlichkeiten legen, aber in ihrer denkerischen Beweglichkeit als verkalkt bezeichnet werden könnten. Wobei: Selbst zählt man sich bestimmt nicht zu dieser Gattung Mensch.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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