Ein Zitat
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Foto © Jörg Niederer |
Ein Bibelvers - Matthäus 7,3
"Du siehst den Splitter im Auge deines Gegenübers. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge?"
Eine Anregung
Die rumänisch-orthodoxe Kirche in St. Gallen ist in Räumen eines Gewerbehauses untergebracht. Dort besuchte ich gestern eine Sitzung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. Wir tagten umgeben von Heiligenikonen mitten im Kirchenraum. Auf der linken Raumseite fanden sich die weiblichen Heiligen, auf der rechten Seite die männlichen Heiligen.
Maria von Ägypten viel mir auf wegen der aussergewöhnlichen Handhaltung. Sie ist eine der Heiligen, die oft nackt dargestellt wird.
Die Legende erzählt, dass sie mit 12 Jahren, zur Zeit des römischen Kaisers Konstantin, in Alexandria als Prostituierte zu arbeiten begann. 17 Jahre lang gab sie sich Männern gegen Bezahlung hin. Zu jener Zeit entdeckte die Mutter des Kaisers das heilige Kreuz in Jerusalem. Aus Neugier wollte Maria von Ägypten dieses Kreuz sehen und machte sich auf die Reise. Doch als sie an die heilige Stätte kam, zur zwischenzeitlich über dem Kreuz gebauten Grabeskirche, konnte sie nicht eintreten, obwohl sie es versuchte. Dreimal wurde sie zurückgewiesen, bis sie ihre grosse Schuld erkannte, Busse tat, und so doch noch den Weg zu Christus fand.
Nach diesem Erlebnis zog sie über den Jordan allein in die Wüste, wo sie 47 Jahre lang als Eremitin lebte. Als ihre Kleider nichts mehr taugten, lebte sie nackt weiter, nur von ihrem Haar bedeckt. Da entdeckte sie der Mönch Zosimas, der sich selbst für vollkommen hielt. Doch beim Anblick der ihm spirituell überlegenen nackten Heiligen wurde er sich seiner Sünden wieder bewusst. Statt dass er Maria segnete, bat er nun selbst um ihren Segen. Sie aber wünschte sich, dass er ihr in einem Jahr an Gründonnerstag die heilige Eucharistie austeile. Diese konnte sie jedoch nur empfangen, in dem sie zu Zosimas über das Wasser des Jordans wandelte und danach wieder zurück. Ein weiteres Jahr später lag Maria von Ägypten tot aber unverwest in einem Sarg. Im Sand geschrieben las Zosimas die Bitte, Maria christlich zu bestatten. Während er also noch überlegte, wie er das bewerkstelligen könnte, kam ein Löwe, und erfüllte der heiligen Maria von Ägypten diesen letzten Liebesdienst.
Soweit die Legende. Zweifellos ist die Nacktheit dabei das sich durchziehende Element und Symbol von Sünde und Heiligkeit. Wie sie sich als Prostituierte den Männern hingab, gab sie sich letztlich für Christus hin.
Darauf verweist nun auch die spezielle Geste auf ihrer Ikone. Sie wurde mir gestern von Priester Mihail Adam erklärte. Mit dem Zeigefinger der linken Hand zeigt die Heilige auf die erhobene rechte Handinnenfläche. Das bedeutet: Ich bin bereit, alles wegzugeben, nur nicht den Glauben, das Vertrauen in Christus.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen
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