Freitag, 6. Juni 2025

Kuh am Waldrand

Ein Zitat

Kuh auf einer Waldlichtung bei Aadorf.
Foto © Jörg Niederer
"Doch d Wält isch so perfid, das si sech sälte oder nie, nach Bilder wo mir vore gmacht hei richtet..." Mani Matter, "Chue am Waldrand" (Doch die Welt ist so perfide, dass sie sich selten oder nie nach Bildern richtet, die wir uns von ihr machen...)

Ein Bibelvers - Lukas 2,28+29

"Simeon nahm das Kind auf den Arm. Er lobte Gott und sagte: 'Herr, jetzt kann dein Diener in Frieden sterben, wie du es versprochen hast.'"

Eine Anregung

Kühe, so stoisch ruhig sie auch erscheinen mögen, lassen sich nicht gern fotografieren. Immer wieder auf meinen Wanderungen geschieht es, dass sie mich neugierig anschauen und näher kommen. Doch wenn ich dann ihre wunderschönen Augen und den Charakterkopf fotografieren möchte, wenden sie sich ab oder senken das Haupt und beginnen zu fressen.

Da gibt es das Lied von Mani Matter, das Ähnliches besingt. "Chue am Waldrand" erzählt die Geschichte eines Landschaftsmalers, der eine Kuh am Waldrand auf die Leinwand bannen möchte. Dabei malt er erst den Wald, dann die Wiese und kommt schlussendlich zur Kuh, welche aber in der Zwischenzeit aus dem Bereich des Bilds getrottet ist. So bleibt an deren Stelle auf der Leinwand ein weisser Fleck zurück, der sich auch nicht füllen lässt zu einer anderen Zeit. Denn keine Situation wiederholt sich so, wie sie schon einmal gewesen ist. 

In unserem Leben gib es beständige Dinge, die sich nicht so schnell oder gar nie ändern. Aber dann gibt es auch die Dinge, die flüchtig sind, vergänglich. Es sind nicht die wichtigen Dinge, auch nicht die Dringenden, sondern die Vergänglichen, denen wir unsere erste Aufmerksamkeit widmen sollten. Es sind die unwiederbringlichen Augenblicke, die so kostbar sind, weil sie einmalig bleiben. Bei mir waren es etwa die Momente, als ich zum ersten mal meiner späteren Frau begegnete, zum ersten Mal meine Kinder auf den Armen hielt, das erste Mal auf einer Kanzel stand und predigte. Auf meinem Bild dürfen diese Dinge nicht fehlen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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