Dienstag, 10. Juni 2025

Fake-News-Lilie

Ein Zitat

Türkenbund im Wald bei Turbenthal.
Foto © Jörg Niederer
"Der Fuchs, der nicht an die Trauben herankommt, behauptet, sie wären sauer." Türkisches Sprichwort

Ein Bibelvers - 1. Korinther 13,2

"Oder stellt euch vor: Ich kann reden wie ein Prophet, kenne alle Geheimnisse und habe jede Erkenntnis. Oder sogar: Ich besitze den stärksten Glauben – sodass ich Berge versetzen kann. Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts."

Eine Anregung

Nun ist die Zeit, in der der Türkenbund blüht. Gestern sah ich diese Lilienart erstmals in diesem Jahr in freier Natur. Die Blüte hat die Form eines Turbans. Von daher kommt wohl der bekannteste Namen. Früher wurde die Pflanze auch oft nach der zwiebelartigen, goldfarbigen Wurzel benannt. Damals hiess sie etwa Goldbölla, Goldapfel, Goldruabn, Goldwurzl, oder Poms d'or. An dieser Zwiebelwurzel wachsen einige Zugwurzeln, welche die Zwiebel bei ungünstiger Witterung in tiefer Erdschichten ziehen können.

Doch zurück zur Bezeichnung. Die wunderschöne Pflanze weckte einst grosse Erwartungen. Wie das im Mittelalter üblich war, glaubte man, dass die Farbe der Wurzel (siehe hier!) etwas von ihrer Eigenschaft preisgibt. Gleiches mit Gleichem bekämpfen oder erzeugen, das war die Devise. So versuchten Alchemisten mit ihrer Hilfe gewöhnliche Metalle in Gold zu verwandeln. In der Medizin nannte man die Hämorrhoiden auch "goldene Ader". So dachte man sich, dass wohl die goldene Wurzel des Türkenbunds gegen die unnatürliche Vergrösserung der Hämorrhoiden hilft. Bauern versuchten durch Zugaben von Türkenbundwurzeln im Viehfutter der Butter eine entsprechende Farbe zu verleihen.

Vermutlich hat alles (bis aufs Goldmachen) sogar etwas geholfen. Allein der Glaube vermag ja Heilungsprozesse und Wahrnehmungsveränderungen auszulösen.

Der Türkenbund erzählt also auch eine Geschichte über Glauben und Aberglauben, oder wie Letzteres heute heisst: über Fake News. So gesehen könnte man die Blume auch als Fake-News-Lilie bezeichnen. Das würde auch den mehr oder weniger unangemessenen Bezug auf stereotype Vorstellungen von als islamisch geltenden Kleidungsstücken umgehen. "Fake-News-Lilie" wäre woke und neutral. Wenigstens für den Moment.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen