Freitag, 28. Februar 2025

Grösste Flüchtlingsaufnahme der Schweizer Geschichte

Ein Zitat

Das Bourbaki-Denkmal vor der Römisch-Katholischen Kirchen in Weinfelden.
Foto © Jörg Niederer
"Soldaten! Ihr müsst aus diesem Kampfe nicht nur siegreich, sondern auch ohne Tadel hervorgehen … Deshalb stelle ich die Kinder, die Frauen, die Greise und die Diener der Religion unter Euren Schutz. Wer Hand an eine wehrlose Person legt, entehrt sich selbst und schändet seine Fahne. Die Gefangenen und besonders die Verwundeten verdienen umso mehr Eure Rücksichtnahme und Euer Mitleid, als ihr euch oft mit ihnen im selben Lager befunden habt …" Guillaume Henri Dufour (1787-1875)

Ein Bibelvers - Lukas 10,33+34

"Aber dann kam ein Samariter dorthin, der auf der Reise war. Als er den Verwundeten sah, hatte er Mitleid mit ihm. Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn in ein Gasthaus und pflegte ihn."

Eine Anregung

Luzern hat das Bourbaki-Panorama und Weinfelden das Bourbaki-Denkmal. Es steht bei der katholischen Kirche, und erinnert an die Internierung von 500 französischen Armeeangehörigen im damals 2600-Seelen-Städtchen. Zum Vergleich: Müsste die Stadt Zürich mit ihrer aktuellen Wohnbevölkerung von 448'664 Menschen eine vergleichbare Flüchtlingszahl heute aufnehmen, wären es 86'281 Menschen. Auf fünf Einwohner käme ein Internierter.

Grund dieser hohen Zahl an ausländischen Soldaten im Thurgau war die Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg, und die damit im Winter 1871 verbundene Internierung der französische Ostarmee in der Schweiz, die unter dem Kommando von General Bourbaki stand. Die Internierung, so heisst es auf der Webseite des Roten Kreuzes "...war ein Meilenstein in der Geschichte der schweizerischen Neutralitätspolitik. Innerhalb von weniger als 72 Stunden überquerten 87'847 französische Soldaten die Grenze. Dabei handelte es sich zweifellos um die grösste Flüchtlingsaufnahme in der Schweizer Geschichte".

Diese Armeeangehörigen wurden in der ganzen Schweiz, nicht aber im Tessins, auf die Gemeinden verteilt. Verpflegt wurden sie durch die ansässige Bevölkerung. In Weinfelden untergebracht waren sie im Schulhaus. Auch arbeiten durften oder mussten die Soldaten unmittelbar bei ihrer Ankunft, meist auf den umliegenden Bauernhöfen.

Das Bourbakidenkmal ist beschriftet: Darauf steht: "Zur Erinnerung der im Februar & März 1871 in hier verstorbenen 10 Internierten der Bourbakischen Armee." Einer starb an Pocken, sieben an Typhus, einer an Ruhr und einer an Lungenentzündung. Da der Friedhof bei der Kirche mit einheimischen Verstorbenen überfüllt war, wurden sie auf der Schützenwiese beigesetzt.

Mehr über die damaligen Herausforderungen Weinfeldes mit den Soldaten aus Frankreich erfährt man in einem illustrierten Bericht von Martin Sax.

Man merke: Am Anfang der schweizerischen Neutralitätspolitik stand die grösste Aufnahme von Fremden in der Schweiz. Und dann dies: Schon damals gab es in Weinfelden Probleme mit der Friedhofsordnung (Siehe Beitrag vom 14. Januar 2025).

Zur Schweizerischen Identität gehörte nicht die Rückweisung Fremder und die Begrenzung der Einwanderung, sondern eine unglaubliche Hilfsbereitschaft für Notleidende. Heute steht diese humanitäre Tradition auf dem Spiel. Es stellt sich die Frage: Wollen wir wirklich immer noch den unter die Räuber Gefallenen helfen (siehe Lukas 10,29-37)?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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