Donnerstag, 20. Februar 2025

Ein dunkles Kapitel mehr

Ein Zitat

Ein Zollbeamter steht an der Landesgrenze bei Laufenburg und kontrolliert im Jahr 1991 die Grenzgänger:innen.
Foto © Jörg Niederer
"Im Winter haben sie mir die Hosensäcke zugenäht. Es hiess: 'Wenn du arbeitest, hast du warm'." Zitat eines Verdingkindes in der Ausstellung "Enfances volées – Verdingkinder erzählen"

Ein Bibelvers - 5. Mose 11,26-28a

"Seht, ich stelle euch heute vor die Wahl zwischen Segen und Fluch: Segen erwartet euch, wenn ihr das Gebot des Herrn, eures Gottes, befolgt. Ich habe es euch heute verkündet. Fluch erwartet euch, wenn ihr das Gebot des Herrn, eures Gottes, nicht befolgt."

Eine Anregung

Wer zurückschaut auf einige dunkle Kapitel der schweizerischen Geschichte, wundert sich, wie kritiklos durch Behörden und Gesellschaft in der Vergangenheit Menschen Leid angetan wurde. Gerade jetzt wieder zeigt dies eine Ausstellung im Historischen Museum in Bern, welche die führsorglichen Zwangsmassnahmen thematisiert. Mindestens 10'826 Menschen haben bis heute vom Staat Wiedergutmachung angefordert. Es hat lange gedauert, bis 2013 die damalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga sich bei den Betroffenen im Namen der Regierung entschuldigte.

Menschen, die wie Carl Lutz unter Lebensgefahr Zehntausende Juden vor dem Tod bewahrten, wurden nicht etwas von den Schweizer Behörden gelobt, sondern im besten Fall nicht beachtet, im schlechtesten Fall für ihr humanitäres Eingreifen bestraft.

Für unzählige in der Schweiz Schutz suchende Juden bedeutete dagegen die Rückweisungspolitik der Schweiz im 2. Weltkrieg den Tod in Konzentrationslagern.

Dann sind da die Kinder der Landstrasse. Bis 1970 wurden Kinder den Fahrenden weggenommen und in Heime und Pflegefamilien gesteckt. Ebenfalls in diese Richtung gehen die Adoptionen von Kindern aus dem Ausland. Oft wurden sie ihren Müttern weggenommen und abgekauft, um den Bedarf im Westen zu decken.

Noch weiter zurück liegen Hexenverbrennungen. Andersgläubige wurden hingerichtet.

In all diesen Fällen kristallisierte sich mit der Zeit heraus, wie absolut falsch und menschenverachtend dieses Vorgehen der Schweiz war, wie sehr dadurch Menschen zu Unrecht und teils wider besseres Wissen entwürdigt wurden. Die Bitten um Entschuldigungen sind gekommen, aber meist Jahre später, mit oft nur bescheidener finanzieller Wiedergutmachung an die Opfer.

Ich bin sicher, dass die Zeit kommen wird, in der sich Schweizerinnen und Schweizer entschuldigen müssen für das, was wir in diesen Tagen den Flüchtenden antun. Ich schäme mich dafür, wie wir in einem der reichsten Länder herziehen über Fremde und Flüchtende, als wären sie an ihrem Leid selbst schuld und nur da, um uns auszunehmen. Das Reden von "Grenzen dichtmachen" und über "Remigration" zeigt, wie eine Gesellschaft nicht davon wegkommt, immer wieder auf die Schwächsten einzuschlagen, unter Verkennung der eigentlichen Probleme unserer Zeit. Über die Hartherzigkeit unserer Tage wird man wohl einmal den Stab brechen und Bücher schreiben darüber, wie dunkel doch der Umgang mit Fremden gewesen ist, wie sehr man den Tod von Tausenden allein schon im Mittelmeer in Kauf genommen hat, wie "selbstlos" man Hilfesuchenden die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Da wünschte ich mir von den Christenmenschen eine deutliche, klare Absage an die Unmenschlichkeit und an die Profitgier auf Kosten der Ärmsten.

Auch wenn es wohl viele heute nicht für möglich halten, aber die Geschichte lehrt uns, dass auch wieder Zeiten kommen werden, in denen der Wind dreht, in denen es unsere Söhne und Töchter sein werden, welche ihrer Heimat beraubt an verschlossenen Grenztoren stehen werden, beraubt durch Regierungen und Schlepper, missbraucht von Kriminellen.

In der Ausgrenzung der Fremden ist der Same gelegt für die Ausgrenzung unserer Kinder. Doch dort, wo wir einander annehmen, ist der Same gelegt für die Fürsorge, die man unseren Kindern entgegenbringen wird. Fluch und Segen werden uns heute vorgelegt. Was wir einander antun, setzt den Massstab.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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