Mittwoch, 26. Februar 2025

Verblassende Erkenntnisse

Ein Zitat

Teile vom Passionszyklus in der Lazariterkirche Gfenn. Die Geisselung Jesu.
Foto © Jörg Niederer
"Erst im tiefen Leid erkennt man, wer man wirklich ist." Marie Antoinette (1755–1793)

Ein Bibelvers - Johannes 19,1

"Daraufhin ließ Pilatus Jesus abführen und auspeitschen."

Eine Anregung

In keiner katholischen Kirche darf der Passionszyklus oder auch der Kreuzweg fehlen. Die Besinnung auf die zentrale Bedeutung der Leiden Christi und seiner Hinrichtung am Kreuz wird auf vertraute oder auch ganz neue Weise den Besuchenden in den Kirchen vor Augen gemalt.

So auch in der Lazariterkirche Gfenn bei Dübendorf. In dieser Kirche fand man Fragmente mittelalterlicher Gemälde. Vom dabei abgebildeten Passionszyklus ist nicht mehr viel übriggeblieben. Am besten zu erkennen ist die Szene der Geisselung Jesu. Da ist Jesus, an eine Säule gefesselt, als würde er sie umarmen. Die Geisselung selbst ist nicht mehr zu erkennen. Ich sehe allein Jesus. Hilflos, ausgeliefert, duldend.

Zwei Gedanken kommen mir dazu: Nur zu gern verdrängen wir Schmerzhaftes, Belastendes. Es ist, als solle die Erinnerung daran vergehen. Doch Fragmente davon drängen manchmal wieder ans Licht, ins Sichtfeld.

Die Leiden der unter die Räuber und Sünder gefallenen, wir können sie aus der warmen Stube eines Rechtstaats nicht wirklich verstehen. Vielleicht wollen wir sie auch nicht verstehen. Wir sehen sie, sehen sie wie Christus, gefesselt. Sie sind den Wohlhabenden, Starken, Mächtigen ausgeliefert, denen die das Sagen haben. Was das aber wirklich bedeutet, können wir nicht ergründen, es sei denn wir geraten selbst in diese bedrohliche Abhängigkeit. So sehen wir den gefesselten Christus in Menschen, die uns begegnen, ohne aber wirklich die Abgründe dahinter zu erkennen. Die Geissler sehen wir nicht, die ungerechten Richter sehen wir nicht.

Der andere Gedanke ist tröstlicher. Da ist in dieser Lazariterkirche von der ganzen Passion alles verblasst, bis auf diesen leidenserwartenden Jesus. Er ist gut zu erkennen. Er ist geblieben. Er ist als einziger noch da. Nicht der lehrende und heilende Christus, sondern der ausgelieferte, schmerzgefasste Jesus.

Genau so ist Christus mir ganz nahe, auch und gerade in Momenten meiner Hilflosigkeit. Dann ist er da, sagt mir: "Das stehen wir gemeinsam durch." Vielleicht auch: "Das stehe ich an deiner Stelle durch."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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