Samstag, 8. Februar 2025

Widersprüchliche Signale

Ein Zitat

Mobiles Urinal in der Fussgängerunterführung beim Bahnhof Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Scheinheiligsprechungen sind gängiger als Heiligsprechungen." Erhard Horst Bellermann (*1937)

Ein Bibelvers - Matthäus 7,5

Jesus: "Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Gegenübers zu ziehen."

Eine Anregung

Nach längerer Zeit ging ich wieder einmal den schmalen Fussgängeraufgang von der Unterführung Rheinstrasse hinauf aufs Perron 1 am Bahnhof Frauenfeld. Da fiel mir das mobile Urinal auf, das da freistehend im Durchgang zum Fahrradkeller und dem "Haus am Bahnhof" aufgestellt worden war. Nun ist dieser Durchgang schon an sich eine düstere Sache. Oft sitzen dort Jugendliche herum und lärmen. Aber ein mobiles Urinal an dieser Stelle, an der doch wohl auch ab und zu Frauen durchkommen und freien Blick hätten auf die Herren bei ihrer Verrichtung? Das kann es doch wohl nicht sein! Ich interpretiere das auch nicht als Ersatzlösung dafür, dass jüngst die öffentlichen Toiletten am Bahnhof von gratis auf teuer umgestellt wurden. Eher denke ich, dass dort in der Ecke, wo jetzt das mobile Urinal steht, sowieso immer Männer in die Ecke gepinkelt haben. Ja, das ist eine unappetitliche Sache. Wollte man mit dem Urinal die Ausflüsse in geordnete Bahnen lenken? So im Sinn: Was wir nicht verhindern können, soll wenigsten geregelt gesammelt werden.

Nur gibt es da an diesem Un-Ort sich widersprechende Zeichen und Signale. Da wäre das einladende Urinal. Zugleich wird auf einem Schild gewarnt, dass dieser Raum überwacht wird. Dann ist über dieser buchstäblichen Warnung auch noch ein Urinier-Verbotsschild zu erkennen. Ja, darf Mann sich nun hier verrichten? Oder muss er damit rechnen, dass er auf frischer Tat ertappt in den Sozialen Medien auftaucht? Oder ist das mobile Urinal ein Köder, der Männer in die Falle locken will, so dass sie für unerlaubtes Pinkeln in der Öffentlichkeit gebüsst werden können?

Widersprüchliche Signale! Sie zu deuten ist oft schwierig. Im christlichen Kontext irritiert mich etwa, wenn Menschen, die aus christlichen Gründen besonders viel Wert auf Integrität und Frömmigkeit legen, Menschen wie Donald Trump wählen. Das ist doch nun wirklich eine wenig erbauliche Persönlichkeit. Solche Menschen lehren ihre Kinder, dass sie nicht Lügen sollen, und stellen sich zugleich hinter einen notorischen Lügner. Sie lehren ihre Kinder, dass man nicht schlecht redet über andere, aber wählen einen Menschen, der mit Verachtung auf seine politischen Gegner blickt und sie Verbrecher nennt. Das ist doch wie ein Urinierverbotsschild am mobilen Urinal. Es passt nicht zusammen.

Nur muss ich ja nun selbst aufpassen, dass ich nicht den Splitter im Auge der andern sehe, und blind bin für den Balken in meinem Auge. Darum mache ich mich heute auf die Suche nach diesem Balken. Andere dürfen mir auch gerne dabei helfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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