Freitag, 28. Februar 2025

Grösste Flüchtlingsaufnahme der Schweizer Geschichte

Ein Zitat

Das Bourbaki-Denkmal vor der Römisch-Katholischen Kirchen in Weinfelden.
Foto © Jörg Niederer
"Soldaten! Ihr müsst aus diesem Kampfe nicht nur siegreich, sondern auch ohne Tadel hervorgehen … Deshalb stelle ich die Kinder, die Frauen, die Greise und die Diener der Religion unter Euren Schutz. Wer Hand an eine wehrlose Person legt, entehrt sich selbst und schändet seine Fahne. Die Gefangenen und besonders die Verwundeten verdienen umso mehr Eure Rücksichtnahme und Euer Mitleid, als ihr euch oft mit ihnen im selben Lager befunden habt …" Guillaume Henri Dufour (1787-1875)

Ein Bibelvers - Lukas 10,33+34

"Aber dann kam ein Samariter dorthin, der auf der Reise war. Als er den Verwundeten sah, hatte er Mitleid mit ihm. Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn in ein Gasthaus und pflegte ihn."

Eine Anregung

Luzern hat das Bourbaki-Panorama und Weinfelden das Bourbaki-Denkmal. Es steht bei der katholischen Kirche, und erinnert an die Internierung von 500 französischen Armeeangehörigen im damals 2600-Seelen-Städtchen. Zum Vergleich: Müsste die Stadt Zürich mit ihrer aktuellen Wohnbevölkerung von 448'664 Menschen eine vergleichbare Flüchtlingszahl heute aufnehmen, wären es 86'281 Menschen. Auf fünf Einwohner käme ein Internierter.

Grund dieser hohen Zahl an ausländischen Soldaten im Thurgau war die Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg, und die damit im Winter 1871 verbundene Internierung der französische Ostarmee in der Schweiz, die unter dem Kommando von General Bourbaki stand. Die Internierung, so heisst es auf der Webseite des Roten Kreuzes "...war ein Meilenstein in der Geschichte der schweizerischen Neutralitätspolitik. Innerhalb von weniger als 72 Stunden überquerten 87'847 französische Soldaten die Grenze. Dabei handelte es sich zweifellos um die grösste Flüchtlingsaufnahme in der Schweizer Geschichte".

Diese Armeeangehörigen wurden in der ganzen Schweiz, nicht aber im Tessins, auf die Gemeinden verteilt. Verpflegt wurden sie durch die ansässige Bevölkerung. In Weinfelden untergebracht waren sie im Schulhaus. Auch arbeiten durften oder mussten die Soldaten unmittelbar bei ihrer Ankunft, meist auf den umliegenden Bauernhöfen.

Das Bourbakidenkmal ist beschriftet: Darauf steht: "Zur Erinnerung der im Februar & März 1871 in hier verstorbenen 10 Internierten der Bourbakischen Armee." Einer starb an Pocken, sieben an Typhus, einer an Ruhr und einer an Lungenentzündung. Da der Friedhof bei der Kirche mit einheimischen Verstorbenen überfüllt war, wurden sie auf der Schützenwiese beigesetzt.

Mehr über die damaligen Herausforderungen Weinfeldes mit den Soldaten aus Frankreich erfährt man in einem illustrierten Bericht von Martin Sax.

Man merke: Am Anfang der schweizerischen Neutralitätspolitik stand die grösste Aufnahme von Fremden in der Schweiz. Und dann dies: Schon damals gab es in Weinfelden Probleme mit der Friedhofsordnung (Siehe Beitrag vom 14. Januar 2025).

Zur Schweizerischen Identität gehörte nicht die Rückweisung Fremder und die Begrenzung der Einwanderung, sondern eine unglaubliche Hilfsbereitschaft für Notleidende. Heute steht diese humanitäre Tradition auf dem Spiel. Es stellt sich die Frage: Wollen wir wirklich immer noch den unter die Räuber Gefallenen helfen (siehe Lukas 10,29-37)?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 27. Februar 2025

Tageszeitengebete bei sich zuhause

Ein Zitat

Der ehemalige Klosterkomplex der Lazariter im Gfenn bei Dübendorf.
Foto © Jörg Niederer
"Jeden Morgen ereignet sich im Kleinen Ostern, leuchtet der Ostermorgen in unser Leben hinein. Jeden Morgen drängt Gott alle Kälte und Dunkelheit zurück, wälzt den Stein vom finsteren Grab und erschafft uns neue Zukunft." Aus dem Donnerstagmorgen-Tageszeitengebet auf der Webseite LebensLiturgien.

Ein Bibelvers - Matthäus 28,5

"Der Engel sagte zu den Frauen: 'Fürchtet euch nicht! Ich weiss: Ihr sucht Jesus, der gekreuzigt wurde.'"

Eine Anregung

Tageszeitengebete werden vorwiegend in Klöstern praktiziert. Ausserhalb dieser geistlichen Zentren ist es nicht so einfach, sich dazu die Zeit zu nehmen und konzentriert bei der Sache zu sein. Die Webseite "LebensLiturgien" bietet da Hilfestellung.

Die Tageszeitengebete dieses Angebots bestehen aus einem Satz von drei meditativen Andachten für jeden Wochentag, und einer Andacht für den Sonntag. Jede Woche wiederholen sich die Gebete und Lesungen und treffen auf einen einmaligen Tag.

Mehr Vielfalt bieten die Morgengebets-Podcasts. Aktuell kommen die Anregungen dazu aus dem Leben von Martin Luther King. Auch da sind die "Informationsbeiträge" eingebettet in Lesungen und Gebete. 

Sebastian Steinbach, evangelischer Pfarrer in Hirsau schreibt dazu: "Wir hoffen, dass LebensLiturgien dir dabei hilft, dein Denken und Tun heilsam zu unterbrechen, innerlich zur Ruhe zu kommen und dich mit Gott zu verbinden. Sei gesegnet!"

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 26. Februar 2025

Verblassende Erkenntnisse

Ein Zitat

Teile vom Passionszyklus in der Lazariterkirche Gfenn. Die Geisselung Jesu.
Foto © Jörg Niederer
"Erst im tiefen Leid erkennt man, wer man wirklich ist." Marie Antoinette (1755–1793)

Ein Bibelvers - Johannes 19,1

"Daraufhin ließ Pilatus Jesus abführen und auspeitschen."

Eine Anregung

In keiner katholischen Kirche darf der Passionszyklus oder auch der Kreuzweg fehlen. Die Besinnung auf die zentrale Bedeutung der Leiden Christi und seiner Hinrichtung am Kreuz wird auf vertraute oder auch ganz neue Weise den Besuchenden in den Kirchen vor Augen gemalt.

So auch in der Lazariterkirche Gfenn bei Dübendorf. In dieser Kirche fand man Fragmente mittelalterlicher Gemälde. Vom dabei abgebildeten Passionszyklus ist nicht mehr viel übriggeblieben. Am besten zu erkennen ist die Szene der Geisselung Jesu. Da ist Jesus, an eine Säule gefesselt, als würde er sie umarmen. Die Geisselung selbst ist nicht mehr zu erkennen. Ich sehe allein Jesus. Hilflos, ausgeliefert, duldend.

Zwei Gedanken kommen mir dazu: Nur zu gern verdrängen wir Schmerzhaftes, Belastendes. Es ist, als solle die Erinnerung daran vergehen. Doch Fragmente davon drängen manchmal wieder ans Licht, ins Sichtfeld.

Die Leiden der unter die Räuber und Sünder gefallenen, wir können sie aus der warmen Stube eines Rechtstaats nicht wirklich verstehen. Vielleicht wollen wir sie auch nicht verstehen. Wir sehen sie, sehen sie wie Christus, gefesselt. Sie sind den Wohlhabenden, Starken, Mächtigen ausgeliefert, denen die das Sagen haben. Was das aber wirklich bedeutet, können wir nicht ergründen, es sei denn wir geraten selbst in diese bedrohliche Abhängigkeit. So sehen wir den gefesselten Christus in Menschen, die uns begegnen, ohne aber wirklich die Abgründe dahinter zu erkennen. Die Geissler sehen wir nicht, die ungerechten Richter sehen wir nicht.

Der andere Gedanke ist tröstlicher. Da ist in dieser Lazariterkirche von der ganzen Passion alles verblasst, bis auf diesen leidenserwartenden Jesus. Er ist gut zu erkennen. Er ist geblieben. Er ist als einziger noch da. Nicht der lehrende und heilende Christus, sondern der ausgelieferte, schmerzgefasste Jesus.

Genau so ist Christus mir ganz nahe, auch und gerade in Momenten meiner Hilflosigkeit. Dann ist er da, sagt mir: "Das stehen wir gemeinsam durch." Vielleicht auch: "Das stehe ich an deiner Stelle durch."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 25. Februar 2025

Von ganz jung bis ganz alt

Ein Zitat

Im mit der Venus gekrönten Schauspielhaus Zürich befindet sich auch ein Venen-Zentrum.
Foto © Jörg Niederer
"Im Haus der Tränen lächelt Venus nicht." William Shakespeare (1582-1616)

Ein Bibelvers - Jakobus 1,11

"Wenn die Sonne emporsteigt, kommt mit ihr die Hitze und lässt das Gras verdorren. Dann fällt die Blüte ab und von ihrer Schönheit bleibt nichts übrig. So wird auch der Reiche vergehen, noch während er seinen Geschäften nachgeht."

Eine Anregung

Das Schauspielhaus von Zürich, auch Pfauen genannt, wird zentral gekrönt mit der Venus, wie sie soeben dem Meer entsteigt. Die römische Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit hat in Aphrodite eine griechische Vorläuferin. Diese, so der Mythos, sei aus dem Schaum geboren, der sich bildete, als der abgeschnittene Geschlechtsteil des Uranus ins Meer gefallen sei. Mit der Venus sind wir also ganz am Anfang des prallen Lebens und ganz bei der jugendlichen Schönheit.

Nun ist aber im Schauspielhaus seltsamerweise auch ein Venenzentrum untergebracht. Und damit sind wir bei typischen Altersbeschwerden. Stichworte sind Krampfadern, nächtliche Wadenkrämpfe, Besenreiser, geschwollene schwere sowie offene und schmerzende Beine.

So gesehen ist am Schauspielhaus Zürich in mahnender Weise der Weg von der Venus zum Venenzentrum, von der blühenden Jugend zur welkenden Last des Alters, von der Vitalität und Potenz zur Krankheit und Erschlaffung vorgezeichnet. Es geht abwärts im Leben. Einst oben die Venus, nun unten der Doktor, der verspricht, sich um die Venen zu kümmern.

Es fehlt nur noch, dass am Schauspielhaus das bekannte Theaterstück "Der eingebildete Kranke" von Molière aufgeführt wird. Das wäre wohl das Tüpfelchen auf dem i an dieser Fassadengeschichte.

Wünschen wir uns doch heute ein bisschen mehr Venus, und viel weniger Venenzentrum.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 24. Februar 2025

Streit vom Zaun brechen

Ein Zitat

Eine Holzzaunlatte mit Neuschneehaube.
Foto © Jörg Niederer
"Baue einen Zaun um die Thora. Unterscheide zwischen zeitbedingter und zeitloser Wahrheit; wage es, die eine zu verändern und die andere zu bewahren." Talmud

Ein Bibelvers - Lukas 14,23

"Da sagte der Herr zu ihm: 'Geh hinaus aus der Stadt auf die Landstraßen und an die Zäune. Dränge die Leute dort herzukommen, damit mein Haus voll wird!'"

Eine Anregung

Wenn jemand einen Streit vom Zaun bricht, dann geht es aus heiterem Himmel und ohne grosse Vorbereitungsphase los mit der Auseinandersetzung.

Ursprünglich jedoch wurde die Redensart neutral verwendet. "Etwas vom Zaun brechen" besagte, dass etwas leicht verfügbar sei, so wie die Latten an den Zäunen. Doch bereits Martin Luther verwendete die Aussage vom Streit, der vom Zaun gebrochen wird, in seinen Schriften.

Vermutlich eigneten sich Zaunlatten ausgezeichnet, um aufeinander einzuschlagen. Ähnlich, wie wenn heute Pflastersteine oder Glasflaschen als Wurfgeschosse dienen, waren Zaunlatten überall verfügbar.

Beim Gartenzaun speziell ist, dass aus einer Schutzvorrichtung ein schlagendes Argument werden kann. Wie leicht wird etwas Gutes missbraucht. Wie schnell verwandelt sich der Frieden in Krieg, die Eintracht in Zwietracht, die Liebe in Hass.

Wie wäre es, wenn wir heute und in den folgenden Tagen und Wochen statt Streit vom Zaun zu brechen dem Frieden einen Schutzzaun bauen? Ich meine keine undurchdringbare, intransparente Grenze, sondern ein luftiger, mit Durchlässen versehener, raumgestaltender Gartenzaun, über den die Kinder klettern und die Erwachsenen einander die Hand reichen können.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 23. Februar 2025

Was bleibt?

Ein Zitat

Die Lazariterkirche Gfenn bei Dübendorf sieht wie eine Festung aus.
Foto © Jörg Niederer
"Ohne Glauben ist nichts möglich. Mit ihm ist nichts unmöglich." Mary McLeod Bethune (1875-1955)

Ein Bibelvers - Jakobus 2,14

"Meine Brüder und Schwestern! Was nützt es, wenn jemand behauptet zu glauben, sich der Glaube aber nicht in Taten zeigt?"

Eine Anregung

Höchste Zeit, auf meinen Kollegen Pfarrer Stefan Gerber vom gms Studen hinzuweisen. Besonders an einem Sonntag passt das gut. Da kann man sich einen seiner interessanten Podcasts anhören. In seinem neusten Beitrag "Finde deine Wachstumsspur" geht er der Frage nach, was wir in unserem Leben hinterlassen. Ist es nur eine Einstellung, dann bleibt nicht viel. Aber worauf kommt es dann an. Dazu wird von Stefan Gerber der biblische Autor Jakobus hinzugezogen - aber natürlich, wie es sich für einen Methodisten gehört, auch John Wesley. Mehr verrate ich nicht. Unterhaltsam ist seine Rede auf jeden Fall.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 22. Februar 2025

Abstraktes aus der Natur

Ein Zitat

Ein von heimlichen Geschöpfen stark zersetzter Baumstumpf entfaltet seine Schönheit.
Foto © Jörg Niederer
"Die Natur ist zugleich Buch und Schrift, Märchen, Gemälde und Lied." Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Ein Bibelvers - Psalm 92,6

"Wie großartig sind doch deine Werke, Herr. Was du planst, hat einen tiefen Sinn."

Eine Anregung

Spechte, Schnecken, Käfer, Pilze und Maden haben sich zusammengetan und ein veritables Kunstwerk geschaffen. Der Baumstumpf wurde ausgehöhlt, durchlöchert, und farblich umgestaltet. Abstrakte Kunst ist aus dem einst planmässig gewachsenen Baum geworden. Die Bearbeitung geht weiter, bis vom Baumstrunk nichts mehr übrig bleibt, ausser Erde, aus der andere Geschöpfe ihre Kraft schöpfen.

Kreislaufwirtschaft, Hand- beziehungsweise Mundwerk aus dem Tier- und Pflanzenreich: Nichts geht verloren, nicht einmal die Schönheit im Vollzug der Verwandlung. Was ich sehe, ist ein Loblied auf die zweckmässige, chaotisch und kreative Schönheit der Natur; Schöpfung im Schöpfungsprozess.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 21. Februar 2025

Atelier-Zauber

Ein Zitat

Sammelsurium in einer Werkstätte in Diepoldsau.
Foto © Jörg Niederer
"Gott ist kein Buchhalter. In seiner Bilanz eines Lebens zählt auch, was sich nicht rechnet." Karl-Heinz Karius (*1935)

Ein Bibelvers - Philipper 3,13

"Brüder und Schwestern, ich bilde mir wirklich nicht ein, dass ich es schon geschafft habe. Aber ich tue eines: Ich vergesse, was hinter mir liegt. Und ich strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt."

Eine Anregung

Ich liebe es, in alte Werkstätten zu schauen. Diese Mischung aus Ordnung und Willkür, von alt und noch älter, dieses kreative Chaos eines Ateliers ist herzerfrischend. Die Gegenstände scheinen keine grosse Bedeutung zu haben, und doch werden sie nicht weggeräumt, bleiben da, wo sie liegen geblieben sind. Ich sehe sie mir gerne an, die alten Hobel, die Stechbeitel einer Schreinerwerkstätte, den antiken Drehbank mit den Eisenspänen und den skurrilen Objekten aus Schrauben, zusammengeschweisst Jahre zurück als Übungsobjekte eines Ausbildungsgangs. Ich liebe es, in Fragmente und Nippes einzutauchen. Da sind so viele Erinnerungen, so viele Geschichten verborgen.

Oft sieht eine Biografie nach einigen Jahrzehnten genau so aus. Eine Mischung aus Ordnung und Willkür, ein kreatives Chaos, in dem Dinge einfach bleiben, weil wir sie aus irgendwelchen sentimentalen Gefühlen nicht loswerden können. Wir hängen an diesen nur für uns selbst wertvollen Erinnerungen. Sie erzählen unsere Geschichte. Wären sie nicht, wir wären nicht die Person geworden, die wir heute sind.

Wie dankbar können wir doch sein für all die bedeutenden und unbedeutenden Momente in unserem Leben. Da gab es Gewichtiges und Federleichtes. Noch ist es nicht fertig, das Sammelsurium des Lebens. "Sammelsurium" kommt übrigens aus dem Niederdeutschen "sammelsur" und meinte ursprünglich ein "saures Gericht aus gesammelten Speiseresten". So etwas mundet nicht immer, und ist doch genau das, was ein Leben auszeichnet: Ein fröhlich-kreatives Durcheinander aus sauren und bekömmlichen Momenten.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 20. Februar 2025

Ein dunkles Kapitel mehr

Ein Zitat

Ein Zollbeamter steht an der Landesgrenze bei Laufenburg und kontrolliert im Jahr 1991 die Grenzgänger:innen.
Foto © Jörg Niederer
"Im Winter haben sie mir die Hosensäcke zugenäht. Es hiess: 'Wenn du arbeitest, hast du warm'." Zitat eines Verdingkindes in der Ausstellung "Enfances volées – Verdingkinder erzählen"

Ein Bibelvers - 5. Mose 11,26-28a

"Seht, ich stelle euch heute vor die Wahl zwischen Segen und Fluch: Segen erwartet euch, wenn ihr das Gebot des Herrn, eures Gottes, befolgt. Ich habe es euch heute verkündet. Fluch erwartet euch, wenn ihr das Gebot des Herrn, eures Gottes, nicht befolgt."

Eine Anregung

Wer zurückschaut auf einige dunkle Kapitel der schweizerischen Geschichte, wundert sich, wie kritiklos durch Behörden und Gesellschaft in der Vergangenheit Menschen Leid angetan wurde. Gerade jetzt wieder zeigt dies eine Ausstellung im Historischen Museum in Bern, welche die führsorglichen Zwangsmassnahmen thematisiert. Mindestens 10'826 Menschen haben bis heute vom Staat Wiedergutmachung angefordert. Es hat lange gedauert, bis 2013 die damalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga sich bei den Betroffenen im Namen der Regierung entschuldigte.

Menschen, die wie Carl Lutz unter Lebensgefahr Zehntausende Juden vor dem Tod bewahrten, wurden nicht etwas von den Schweizer Behörden gelobt, sondern im besten Fall nicht beachtet, im schlechtesten Fall für ihr humanitäres Eingreifen bestraft.

Für unzählige in der Schweiz Schutz suchende Juden bedeutete dagegen die Rückweisungspolitik der Schweiz im 2. Weltkrieg den Tod in Konzentrationslagern.

Dann sind da die Kinder der Landstrasse. Bis 1970 wurden Kinder den Fahrenden weggenommen und in Heime und Pflegefamilien gesteckt. Ebenfalls in diese Richtung gehen die Adoptionen von Kindern aus dem Ausland. Oft wurden sie ihren Müttern weggenommen und abgekauft, um den Bedarf im Westen zu decken.

Noch weiter zurück liegen Hexenverbrennungen. Andersgläubige wurden hingerichtet.

In all diesen Fällen kristallisierte sich mit der Zeit heraus, wie absolut falsch und menschenverachtend dieses Vorgehen der Schweiz war, wie sehr dadurch Menschen zu Unrecht und teils wider besseres Wissen entwürdigt wurden. Die Bitten um Entschuldigungen sind gekommen, aber meist Jahre später, mit oft nur bescheidener finanzieller Wiedergutmachung an die Opfer.

Ich bin sicher, dass die Zeit kommen wird, in der sich Schweizerinnen und Schweizer entschuldigen müssen für das, was wir in diesen Tagen den Flüchtenden antun. Ich schäme mich dafür, wie wir in einem der reichsten Länder herziehen über Fremde und Flüchtende, als wären sie an ihrem Leid selbst schuld und nur da, um uns auszunehmen. Das Reden von "Grenzen dichtmachen" und über "Remigration" zeigt, wie eine Gesellschaft nicht davon wegkommt, immer wieder auf die Schwächsten einzuschlagen, unter Verkennung der eigentlichen Probleme unserer Zeit. Über die Hartherzigkeit unserer Tage wird man wohl einmal den Stab brechen und Bücher schreiben darüber, wie dunkel doch der Umgang mit Fremden gewesen ist, wie sehr man den Tod von Tausenden allein schon im Mittelmeer in Kauf genommen hat, wie "selbstlos" man Hilfesuchenden die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Da wünschte ich mir von den Christenmenschen eine deutliche, klare Absage an die Unmenschlichkeit und an die Profitgier auf Kosten der Ärmsten.

Auch wenn es wohl viele heute nicht für möglich halten, aber die Geschichte lehrt uns, dass auch wieder Zeiten kommen werden, in denen der Wind dreht, in denen es unsere Söhne und Töchter sein werden, welche ihrer Heimat beraubt an verschlossenen Grenztoren stehen werden, beraubt durch Regierungen und Schlepper, missbraucht von Kriminellen.

In der Ausgrenzung der Fremden ist der Same gelegt für die Ausgrenzung unserer Kinder. Doch dort, wo wir einander annehmen, ist der Same gelegt für die Fürsorge, die man unseren Kindern entgegenbringen wird. Fluch und Segen werden uns heute vorgelegt. Was wir einander antun, setzt den Massstab.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 19. Februar 2025

Themenweg für Pfarrersleute

Ein Zitat

Wegweiser zu wichtigen Zielen und auf bedeutende Wege beim Bahnhof Flawil.
Foto © Jörg Niederer
"Ich bin nicht gescheitert - ich habe 10.000 Wege entdeckt, die nicht funktioniert haben." Thomas Alva Edison (1847-1931)

Ein Bibelvers - Römer 16,1+2

"Ich empfehle euch unsere Schwester Phöbe. Sie ist Diakonin der Gemeinde in Kenchreä. Nehmt sie im Namen des Herrn auf, wie es sich für Heilige gehört. Und gebt ihr alle Unterstützung, die sie braucht. Denn sie hat sich ihrerseits für viele Menschen eingesetzt, so auch für mich."

Eine Anregung

Der in Flawil ausgeschilderte Grenzweg führe auf meist bestehenden Wanderwegen über 22 Kilometer möglichst nahe der Gemeindegrenze entlang. Der Schoggiweg wiederum verbindet als Themenweg den Bahnhof Flawil mit der Schokoladenfabrik Maestrani. Zum dazugehörigen Chocolarium kann man aber auch mit dem Postauto gelangen. Der Lindensaal wird als "repräsentatives Gebäude an zentraler Lage" beschrieben, was man vom Friedhof Flawil eher nicht sagen kann. Es bleibt noch der "Buureweg" (Bauernweg). Er wurde als Themenweg 2013 eröffnet. Davon gibt es auch einen kleinen Film von der Einweihung. Es sei eine leichte Wanderung im Voralpengebiet. 

Da frage ich mich, wo der Themenweg für meine Berufsgruppe bleibt. Als Strassenbezeichnung gibt es den Pfarrweg an etlichen Orten. Aber ein Weg, der das Berufsumfeld von Pfarrpersonen aufzeigt, ist mir noch nicht bekannt. Ein solcher Weg könnte an sozialen Einrichtungen wie Notschlafstellen, Altersheimen, Spitäler sowie an Kirchen und Kirchgemeindehäusern vorbeiführen. Natürlich müsste dieser Weg kupiert sein, Höhepunkte und tiefe Täler aufweisen, in die Studierstuben führen und dahin, wo man im Sommer schon einmal Alpgottesdienste im Freien abhält. Auch müsste dieser Weg irgendwie in sich führen. Falls es da dann auch noch eine theologische Hochschule hätte, wäre das gar nicht schlecht und die Bibliothek dürfte auch nicht fehlen.

Aber vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass es noch keinen Themenweg für Pfarrpersonen gibt. Oft orientieren sich solche Weg an Dingen, die am Verschwinden sind, oder mit denen wir nostalgische Erinnerungen verbinden. Davon ist der Pfarrberuf ja noch weit entfernt. Oder?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 18. Februar 2025

Wehrhaft über den Tod hinaus

Ein Zitat

Akantusblättrige Eberwurz im Winter.
Foto © Jörg Niederer
"Treue gegen sich selbst und Gütigkeit gegen Andere: Darin ist alles befasst." Konfuzius (551–479 v.Chr.)

Ein Bibelvers - 5. Mose 7,9

"So erkenne nun: Der Herr, dein Gott, er ist Gott. Er ist ein treuer Gott und hält seinen Bund. Die ihn lieben und seine Gebote befolgen, erfahren seine Güte noch in tausend Generationen."

Eine Anregung

Akanthos ist altgriechisch und bedeutet "der Dornige". Die Akantusblättrige Eberwurz ist genau das: dornig. Dabei bleibt sie sich treu. Selbst die abgestorbenen, wettergeschwärzten Blätter bleiben wehrhaft. Ein pflanzlicher Igel, der sich nicht leicht ergibt.

In blühendem Zustand kann man sie auf dieser Webseite betrachten. Dort ist auch beschrieben, wie die Blume als Wetterzeigerin genutzt werden kann.

Wenn sich jemand treu bleibt, ist das grundsätzlich eine gute Sache, ausser es ist ein Mensch, der sich vorwiegend durch schlechte Eigenschaften definiert. Sich treu bleiben bedeutet, ich kann mich mit mir identifizieren, ich muss nicht so tun, als wäre ich eine andere Person. Ich bin mit mir im Reinen. Es stimmt, wie ich gerade lebe.

Bin ich mir selbst treu? Kann ich vor Menschen und Gott zu mir stehen. Oder ist es nötig, dass ich mich "selbstoptimiere", besser mache, als ich bin?

Wie treu bin ich mir selbst?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 17. Februar 2025

Neobarock

Ein Zitat

Die Stadtkirche St. Niklaus prägt das heutige Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Durch ihre Lage und den auffallend hohen Turm ist die Kirche im Stil zwischen Neobarock und Jugendstil stadtbildprägend." Wikipedia

Ein Bibelvers - Josua 24,15

Josua: "Oder seid ihr anderer Meinung und wollt dem Herrn nicht dienen? Dann wählt heute, wem ihr dienen wollt: Sollen es die Götter eurer Vorfahren sein, die sie östlich des Euphrats verehrt haben? Oder sollen es die Götter der Amoriter sein, in deren Land ihr jetzt wohnt? Ich aber und meine Familie: Wir wollen dem Herrn dienen!"

Eine Anregung

Ich bin kein Freund von Neobarock. Daher gefällt mir die Niklaus von Myra gewidmete katholische Stadtkirche in Frauenfeld nicht besonders. Eingeweiht wurde sie 1906. Der Grund war, dass die alte, nach dem ersten Stadtbrand 1771 erbaute Kirche für 600 Besuchende zu klein geworden war. Ich vermute, heute, nach etwas mehr als 120 Jahren, ist die Kirche eher zu gross, abgesehen von wenigen besonderen Feiertagen im Jahr.

Sieht man einer Kirche an, ob sie im Streit oder in grosser Eintracht erbaut worden ist? In Frauenfeld war man sich gar nicht einig und diskutierte heftig über zwei unterschiedliche Kirchenentwürfe, wobei auch noch eine neue Strasse vom Bahnhof zum Regierungsgebäude des jungen Kantons zusätzlich die Stimmung anheizte.

Heute steht die Kirche da mit ihrem hohen, weitherum sichtbaren Turm. Schmückt die Kirche das Stadtbild? Dominiert sie zu sehr? Passt sie zu Niklaus von Myra? Herrscht Frieden in ihren Hallen? Prägt der Jugendstil und Neobarock auch heute noch die Menschen, die dort ein- und ausgehen? Wie beeinflusst dich die Architektur deiner bevorzugt besuchten Kirche?

Das sind genug Fragen für diesen ersten Werktag der Woche.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 16. Februar 2025

Unterwegs auf einem zauberhaften Weg

Ein Zitat

Fein eingeschneiter Waldweg in der Allmend Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn deine Seele keinen Sonntag hat, dann verdorrt sie." Albert Schweitzer (1875-1965)

Ein Bibelvers - Jesaja 58,13+14

"Geh am Sabbat keine weiten Wege und mach an meinem heiligen Tag keine Geschäfte! Betrachte den Sabbat als ein Vergnügen, und halte den heiligen Tag des Herrn in Ehren. Ehre ihn, indem du nicht auf Reisen gehst, keinen Geschäften nachgehst und keine Verträge schliesst. Dann wirst du am Herrn dein Vergnügen haben... Das hat der Herr selbst gesagt."

Eine Anregung

Ein Sonntag kann wie ein Spaziergang über einen zauberhaften Weg sein. Dazu braucht es das überraschende Element, das, was sonst nicht ist, was fasziniert, vielleicht auch irritiert. Die Begegnungen mit Menschen in diesem 24-stündigen Raum der Liebe Gottes ist ein Geschenk für alle Beteiligten. Ich wünsche uns allen die Neugier und Vorfreude auf das, was uns der Tag bringen wird, an dem Gott von seinen Werken ruhte, dem Tag der Freiheit und der Freude und des Lebens über allen Tod hinaus.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 15. Februar 2025

Katharinen-Einkaufstasche

Ein Zitat

Katharinen-Einkaufstasche
Foto © Jörg Niederer
"Bei all der Schwere hoffe ich, dass dabei trotzdem auch Spielfreude, Leichtigkeit und viel Mut zum Träumen da ist. Vielleicht sogar Poesie oder eine gute Portion Humor." Anne Kaestle (*1975), Architektin, Zürich

Ein Bibelvers - Sprüche 24,3

"Durch Weisheit wird ein Haus gebaut, durch Verstand wird es erhalten."

Eine Anregung

Sie ist eigetroffen. Die Einkaufstasche aus dem Banner mit den 500 Frauennamen, das einige Zeit um den temporären Katharinenturm beim Fraumünster in Zürich zu bewundern war (Siehe dazu den Beitrag vom 28. August 2024). Zur Erinnerung an die vor 500 Jahren wirkende letzte Äbtissin vom Fraumünster in Zürich stand der filigran aufragende Katharinenturm von Debora Burri-Marci für 500 Frauen, die Bedeutendes in der Stadt Zürich geleistet haben oder gewesen sind.

Meine Tasche besteht aus Teilen des Namens der Architektin Anne Kaestle (*1975). Über sie steht auf der Webseite des Katharinenturms: "Ihre Vision von urbaner Dichte manifestiert sich in ausgezeichneten Projekten wie der genossenschaftlichen Siedlung 'Mehr als Wohnen', der 'Siedlung Buchegg', dem Mehrgenerationenprojekt 'Burkwil' oder dem 'Glasi Quartier' in Bülach... Mit dem Fokus auf den Zwischenraum hat Anne Kaestle den Begriff der Relationalen Architektur geprägt, um in einer hyperindividuellen, diversen Gesellschaft für Zusammenhalt zu sorgen und bauliche Dichte auf scheinbar wundersame Weise in menschliche Nähe zu verwandeln." 

Eine weiterer fragmentarischer Frauenname auf der Einkaufstasche ist der von Cleophea Pestalozzi-von Orelli (1750-1820). Sie "...leitete das in der Revolutionszeit in Schwierigkeiten geratene Seiden- und Bankgeschäft weiter und führte es zu neuem Erfolg. Bereits 1802 gewährte sie ihrem Angestellten eine kleine Kapitalbeteiligung. Drei Jahre später machte sie ihn zum Teilhaber... In der Literatur wird Cleophea Pestalozzi als eine herausragende Geschäftsfrau gewürdigt, welche die wenig ertragreiche Firma zum Erfolg zurückgeführt habe." 

Dann gibt es zwei Teile an der Tasche, die ich nicht eindeutig zuordnen kann. Das eine Teil könnte für die Seelsorgerin Amanda Ehrler (*1946), für die Politikerin Jacqueline Fehr (*1963), für die heute selbstständige Unternehmerin Eveline Mettier Wiederkehr oder für Birgit Wehrli-Schindler (*1946), der Gründerin von "Stadtentwicklung Zürich" stehen.

Beim anderen Teil käme Yasmin Habegger, die Gründerin und Geschäftsführerin der "Malen mit Stil GmbH"; Andrea Hardegger, Gründerin und Eigentümerin der Aurum Schule Zürich AG; Cornelia Hesse-Honegger (*1944), Schweizer Künstlerin und naturwissenschaftliche Zeichnerin; Klara Honegger (*1860-1940), Gründungsmitglied im Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht; die Sex- und Partnerschaftsberaterin beim Blick Marta Emmenegger (1923-2001) oder die Anthropologin Elisabeth Langenegger (*1940) in Frage.

Mit diesen vielen Frauen werde ich also in Zukunft einkaufen gehen. Ein faszinierender Gedanke und eine Reminiszenz an die Bedeutung der Frauen in Politik, Kunst, Wirtschaft und Religion.

Nebenbei: Noch können Taschen und Etuis aus dem Banner des Katharinenturms bestellt werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 14. Februar 2025

Neuer Bischof in Deutschland

Ein Zitat

Bischof Werner Philipp D.Min. / Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche / Bildautor und Copyright: Klaus Ulrich Ruof, © EmK-Öffentlichkeitsarbeit
Bischof Werner Philipp D.Min.
Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche
Bildautor und Copyright:
Klaus Ulrich Ruof, © EmK-Öffentlichkeitsarbeit

"Ich bin bereit, zu dienen."
Der gestern neu gewählte Bischof Werner Philipp

Ein Bibelvers - 1. Timotheus 3,1

"Das Wort ist glaubwürdig: Wer das Amt eines Bischofs anstrebt, der strebt nach einer grossen Aufgabe."

Eine Anregung

Der 57-jährige Theologe Werner Philipp wurde am gestrigen Donnerstag, 13. Februar, bei der Zentralkonferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) in Würzburg zum Bischof für Deutschland gewählt. Er erzielte im siebten Wahlgang die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit. Nach einer Übergangszeit mit dem abtretenden Bischof Harald Rückert wir er dessen Nachfolge antreten. 

Der folgende Text und das Foto stammen von Klaus Ulrich Ruof, Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher für die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland. 

Werner Philipp ist am 21. August 1967 im südsächsischen Erlabrunn im Erzgebirge geboren und dort aufgewachsen. Weil ihm der Erwerb des Abiturs in der damaligen DDR aus politischen Gründen verwehrt war, machte er seinen Abschluss an der "Zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule". Daran schloss sich eine Ausbildung zum "Facharbeiter für Dachdeckung" an, nach der er den Weg in den pastoralen Dienst der Evangelisch-methodistischen Kirche einschlug.

Den Einstieg in seine pastorale Laufbahn bildete ein einjähriges Gemeindepraktikum im Bereich der Ostdeutschen Konferenz im Gemeindebezirk Netzschkau im Westen Sachsens. Danach studiert er von 1987 bis 1990 Theologie am Theologischen Seminar der EMK in Bad Klosterlausnitz und – nach der Wiedervereinigung des zuvor geteilten Deutschlands – von 1990 bis 1992 am Theologischen Seminar der EMK in Reutlingen (heute: Theologische Hochschule Reutlingen). Als Pastor im Gemeindedienst der EMK machte Werner Philipp von 1992 an bis 1997 seine ersten Erfahrungen im zwischen Leipzig und Dresden gelegenen Gemeindebezirk Großenhain. In seinen weiteren Stationen ist er von 1997 an neun Jahre leitender Pastor im Bezirk Reichenbach, im Südwesten Sachsens, und danach von 2006 bis 2019 leitender Pastor im Bezirk Dresden-Emmauskirche. Während seines Gemeindedienstes in Dresden nimmt Philipp von 2009 an für drei Jahre am "Doctor-of-Ministry-Programm – Church Leadership Excellence" am Wesley Theological Seminary in Washington DC in den Vereinigten Staaten teil. Er schließt die Ausbildung mit einer erfolgreichen Dissertation als "Doctor of Ministry" (D.Min.) ab.

Darüber hinaus absolvierte er Ausbildungen in "Mediation und Konfliktmanagement" und belegte Kurse in Systemischer Organisationsberatung sowie Betriebswirtschaft für Führungskräfte. Zur Erteilung von Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen im Freistaat Sachsen erhielt er 2017 die Vokation der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Seit 2019 bis zu seiner Wahl ins Bischofsamt war Philipp Superintendent für den Distrikt Zwickau in der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz.

Werner Philipp ist verheiratet und hat zusammen mit seiner Frau vier erwachsene Kinder.

Weitere Informationen über den neuen Bischof findet man auf der Webseite der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland.

Der Abschlussgottesdienst am Sonntag, 16. Februar, 10 Uhr, wird per Internet übertragen. In diesem Gottesdienst findet die Amtseinführung des neuen Bischofs sowie der Entpflichtung des Vorgängers statt. Die Predigt hält der neue Bischof. Auf der selben Webseite wird in Kürze der Zugangslink veröffentlicht.

Foto: Bischof Werner Philipp D.Min. / Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche
Text- und Bildautor und Copyright: Klaus Ulrich Ruof, © EmK-Öffentlichkeitsarbeit

Donnerstag, 13. Februar 2025

Die Nacht zum Tag machen

Ein Zitat

Mobiltelefon-Nachtaufnahme einer Landschaft in der Allmend Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"…und in der schwärzesten Nacht meines Lebens sah ich Sterne." Carlos Ruiz Zafón (1964-2020) im Buch: "Der Schatten des Windes"

Ein Bibelvers - Psalm 42,9

"Am Tag schenkt der Herr mir seine Güte und in der Nacht dank ich ihm mit einem Lied – mit einem Gebet zum Gott meines Lebens!"

Eine Anregung

Die Nacht zum Tag machen; Mobiltelefone können das. Sie kombinieren mehrere Aufnahmen zu einem Bild und übertreffen so die Sehfähigkeit des menschlichen Auges. Das Foto hier ist so ein Bild. Doch nicht alles darauf ist so, wie es in Wirklichkeit ist. Da gibt es Fehlfarben, etwa beim Baum auf der rechten Seite im Hintergrund.

In der Nacht sehen wir Dinge, die es gibt und solche, die es nicht gibt. Physikalisch ist das leicht erklärbar. Psychologisch auch. Die Nacht hat ihre speziellen Geräusche. Wie soll man da das Knacken von Ästen eindeutig zuordnen. Streicht da ein Reh vorbei, oder lauert schon der Unhold im Gebüsch?

Nebenbei: In mir sträubt sich alles, beim Wort "Unhold" auch die Frauen einzubeziehen. "Unholdin" klingt schräg, auch wenn das Adjektiv "hold" wiederum fast ausschliesslich auf Frauen angewendet wird.

Gestern auf einer Nachttour mit Wildhüter und Ranger gab es auch die Möglichkeit, mit dem Nachtsichtgerät nach Tieren Ausschau zu halten. Da sahen (und hörten) wir Bekassinen und Rehe, Hasen und schlafende Vögel in Astgabeln. Wir hörten aufgescheuchte Stockenten, Krähen, die Alarm schlugen und den Waldkauz auf der Balz.

Ich werde wieder einmal die Nacht zum Tag machen. Vielleicht auch, um mir die Zeit fürs Meditieren und Beten zu nehmen. Denn auch dazu ist die Nacht gut geeignet.

Und wer weiss, vielleicht macht mich das nicht nur nachtsichtiger, sondern auch nachsichtig.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 12. Februar 2025

Sonniges Arbeiten

Ein Zitat

An einem sonnigen, milden Wintertag arbeitet ein Mann auf dem kleinen Balkon seiner Wohnung.
Foto © Jörg Niederer
"Ja, es gibt Menschen, die die Sonne nur anschauen, um Flecken darauf zu finden." Papst Johannes Paul I. (1912-1978)

Ein Bibelvers - Maleachi 3,20

"Dann wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen für euch, die ihr meinen Namen fürchtet. Unter ihren Flügeln gibt es Heilung. Ihr werdet herauskommen und herumspringen wie Kälber, die aus dem Stall gelassen werden."

Eine Anregung

Es gibt Menschen, die müssen an die Sonne, ganz egal, welche Jahreszeit gerade ist. So wohl auch der Mann, der auf dem kleinen Balkon eines älteren Hauses warm bekleidet seiner Arbeit nachging. Schrieb er gerade an einem Buch, inspiriert vom Treiben der Stadt Zürich? Arbeitete er seine Korrespondenz ab, oder sass er gerade an der Steuererklärung? Auf jeden Fall frische Luft an der wärmenden Sonne. So ist die Arbeit leichter zu ertragen.

Es gibt aber auch viele Menschen, die gerne arbeiten; ganz besonders bei Sonnenschein. Es ist wie "Leben und arbeiten unter einem guten Stern." Ich sage dem jedoch anders: "Leben und Arbeiten im Licht der Liebe Gottes."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 11. Februar 2025

Aufschauen

Ein Zitat

Unterwegs kommt eine Katze und schaut erwartungsvoll zu mir hoch.
Foto © Jörg Niederer
"Zu Jüngeren aufschauen zu müssen, die einst zu uns aufschauten, ist eine Freude für edle, ein Ärger für kleine Seelen." Peter Sirius (1838-1913)

Ein Bibelvers - Epheser 1,18

"Er [Gottes Geist] öffne euch das innere Auge, damit ihr seht, welche Hoffnung er euch gegeben, zu welch großartigem Ziel er euch berufen hat. Er lasse euch erkennen, wie reich er euch beschenken will und zu welcher Herrlichkeit er euch in der Gemeinschaft der heiligen Engel bestimmt hat."

Eine Anregung

"Aufschauen" ist ein beliebtes, häufig benutztes Wort der Lobpreiskultur. Beim Singen wird dann oft stehend mit erhobenen Händen nach oben geschaut, da, wo man Gott erwartet und vermutet. 

Wer klein ist, muss zu den (zumindest körperlich) Grossen hochschauen. Gelegentlich kommt man sich dann auch wirklich klein und unbedeutend vor. Es kann sein, dass das auch die Absicht der "Grossen" ist, die anderen klein zu machen.

Gott ist nicht so. Er, so glaube ich, schaut nicht von oben auf mich herab. im Gegenteil: Gott sucht den Augenkontakt auf gleicher Höhe. Warum sonst ist er Mensch geworden? Ein Kind so klein, dass es in unsere Menschengesichter hochschauen musste.

Gott, der zu uns hochschaut - ein seltsamer Gedanke. Gott aber, der mir gegenübersteht, in meine Augen schaut - ein schöner Gedanke.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 10. Februar 2025

Laubgebirge

Ein Zitat

Efeu mit Eiskristallen an den Rändern in einem Garten bei Ebmatingen.
Foto © Jörg Niederer
"Wer sich zu groß fühlt, um kleine Aufgaben zu erfüllen, ist zu klein, um mit großen Aufgaben betraut zu werden." Jacques Tati (1907-1982)

Ein Bibelvers - Psalm 115,13

"Er segne alle, die zum Herrn gehören, die kleinen und die großen Leute!"

Eine Anregung

Efeublätter, gestaffelt wie Bergketten hintereinander. Selbst die Ränder mit den Eiskristallen erinnern an das Gebirge.

Im Kleinen können wir grosses Abbilden. Im Glaubensleben ist das nicht anders. Auch da können wir unseren bescheidenen Beitrag leisten, um auf Gottes Liebe aufmerksam zu machen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 9. Februar 2025

Flexibilität

Ein Zitat

Eiche bei Ebmatingen.
Foto © Jörg Niederer
"Wer sich nach dem Wind ausrichtet, muss flexibel sein." Walter Ludin (*1945)

Ein Bibelvers - Jesaja 6,8

"Dann hörte ich den Herrn sagen: 'Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?' Ich antwortete: 'Hier bin ich, sende mich!'"

Eine Anregung

Eichen wachsen flexibel. Wenn eine Eiche wenig Platz um sich herum hat, wächst sie in die Höhe. Wenn sie viel Raum um sich herum hat, wächst sie auch in die Breite.

Wie flexibel muss man sein, um die Botschaft von Jesus angemessen im eigenen und fremden Leben zu integrieren? Was haben Flaschen damit zu tun? Verleugnet man den Glauben, wenn man sich an seine Umwelt anpasst? Und was, wenn man sich nicht anpasst; setzt man dann die Nachfolge Christi besser um?

In der heutigen Predigt in der Methodistenkirche St. Gallen gehe ich solchen Fragen nach. Der Gottesdienst beginnt um 10.15 Uhr an der Kapellenstrasse 6. Alle sind herzlich eingeladen. Das gilt auch für das anschliessende Abendmahl und den Kirchenkaffee.

Die Predigt kann in einigen Stunden als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 8. Februar 2025

Widersprüchliche Signale

Ein Zitat

Mobiles Urinal in der Fussgängerunterführung beim Bahnhof Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Scheinheiligsprechungen sind gängiger als Heiligsprechungen." Erhard Horst Bellermann (*1937)

Ein Bibelvers - Matthäus 7,5

Jesus: "Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Gegenübers zu ziehen."

Eine Anregung

Nach längerer Zeit ging ich wieder einmal den schmalen Fussgängeraufgang von der Unterführung Rheinstrasse hinauf aufs Perron 1 am Bahnhof Frauenfeld. Da fiel mir das mobile Urinal auf, das da freistehend im Durchgang zum Fahrradkeller und dem "Haus am Bahnhof" aufgestellt worden war. Nun ist dieser Durchgang schon an sich eine düstere Sache. Oft sitzen dort Jugendliche herum und lärmen. Aber ein mobiles Urinal an dieser Stelle, an der doch wohl auch ab und zu Frauen durchkommen und freien Blick hätten auf die Herren bei ihrer Verrichtung? Das kann es doch wohl nicht sein! Ich interpretiere das auch nicht als Ersatzlösung dafür, dass jüngst die öffentlichen Toiletten am Bahnhof von gratis auf teuer umgestellt wurden. Eher denke ich, dass dort in der Ecke, wo jetzt das mobile Urinal steht, sowieso immer Männer in die Ecke gepinkelt haben. Ja, das ist eine unappetitliche Sache. Wollte man mit dem Urinal die Ausflüsse in geordnete Bahnen lenken? So im Sinn: Was wir nicht verhindern können, soll wenigsten geregelt gesammelt werden.

Nur gibt es da an diesem Un-Ort sich widersprechende Zeichen und Signale. Da wäre das einladende Urinal. Zugleich wird auf einem Schild gewarnt, dass dieser Raum überwacht wird. Dann ist über dieser buchstäblichen Warnung auch noch ein Urinier-Verbotsschild zu erkennen. Ja, darf Mann sich nun hier verrichten? Oder muss er damit rechnen, dass er auf frischer Tat ertappt in den Sozialen Medien auftaucht? Oder ist das mobile Urinal ein Köder, der Männer in die Falle locken will, so dass sie für unerlaubtes Pinkeln in der Öffentlichkeit gebüsst werden können?

Widersprüchliche Signale! Sie zu deuten ist oft schwierig. Im christlichen Kontext irritiert mich etwa, wenn Menschen, die aus christlichen Gründen besonders viel Wert auf Integrität und Frömmigkeit legen, Menschen wie Donald Trump wählen. Das ist doch nun wirklich eine wenig erbauliche Persönlichkeit. Solche Menschen lehren ihre Kinder, dass sie nicht Lügen sollen, und stellen sich zugleich hinter einen notorischen Lügner. Sie lehren ihre Kinder, dass man nicht schlecht redet über andere, aber wählen einen Menschen, der mit Verachtung auf seine politischen Gegner blickt und sie Verbrecher nennt. Das ist doch wie ein Urinierverbotsschild am mobilen Urinal. Es passt nicht zusammen.

Nur muss ich ja nun selbst aufpassen, dass ich nicht den Splitter im Auge der andern sehe, und blind bin für den Balken in meinem Auge. Darum mache ich mich heute auf die Suche nach diesem Balken. Andere dürfen mir auch gerne dabei helfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 7. Februar 2025

Natur in der Stadt

Ein Zitat

Im Winter bei den Drei Weieren in St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte." Bertold Brecht (1898-1956)

Ein Bibelvers - Offenbarung 22,2+3

"Mitten zwischen der Hauptstraße und dem Fluss und an dessen beiden Ufern wachsen Bäume des Lebens. Die Bäume tragen zwölfmal Früchte: Jeden Monat bringen sie Früchte hervor. Und die Blätter der Bäume dienen den Völkern zur Heilung. Es wird nichts mehr geben, das unter einem Fluch steht. Der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen."

Eine Anregung

Da kann ein Weidenhaus gebaut werden oder man geht auf Tierspurensuche. Es gibt eine Mondscheinwanderung am einen Tag und an einem anderen kann man essbare Wildkräuter kennenlernen. Eingeladen wird zu einem Gartenfest im Botanischen Garten. Das meditative Waldbaden ist natürlich auch dabei. Weiter kann man die Bachöffnung des Burgweiherbachs miterleben und bei der Museumsnacht in St. Gallen dabei sein.

140 Führungen, Workshops und Vorträge, aufs ganze Jahr verteilt, werden in der Stadt St. Gallen angeboten. Für alle Altersgruppen ist etwas dabei. Gut möglich, dass man sich bei der einen oder anderen Führung, etwa über Fledermäuse oder Wildkräuter, auch in einem kirchlichen Umfeld umsieht. 

Der Veranstaltungskalender "Natur findet Stadt" gibt es als PDF-Datei, oder er kann beim Empfang im Rathaus St. Gallen kostenlos abgeholt werden. Eine gute Sache, finde ich.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 6. Februar 2025

Gaston und die Gedankenwindungen

Ein Zitat

Szene aus dem Comic Gaston auf einem Güterwagon im Bahnhof Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
Comic-Mitarbeiter zu Gaston: "Sieh an! Der Mann, der schneller scheitert als sein Schatten."

Ein Bibelvers - Sprüche 16,9

"Das Herz des Menschen denkt sich seinen Weg, doch der Herr lenkt seinen Schritt."

Eine Anregung

Mit einer Bekannten am Bahnhof Frauenfeld bewunderten wir einen dieser Güterwagons, auf dem eine eindrücklich Szene aus der Comic-Reihe "Gaston" dargestellt ist. Beiläufig meinte die Bekannte, Gaston sei der Kerl, der ihre Gedanken durchs Gehirn trage.

Wikipedia sagt über Gaston:

"Gaston ist die namensgebende Hauptfigur einer Comic-Reihe aus dem Magazin Spirou. Gezeichnet wurde sie von André Franquin vom Februar 1957 bis zu seinem Tod im Jahr 1997...
Seit 2023 wird die Serie von dem neuen Autor Delaf fortgeführt. Im französischsprachigen Original heißt die Figur mit vollem Namen Gaston Lagaffe. La gaffe bedeutet auf Deutsch 'der Schnitzer', 'das Ungeschick', 'der Ausrutscher' oder 'die Entgleisung'.
Gaston ist ein Bürobote in der Redaktion des real existierenden Verlages Dupuis, in der deutschen Ausgabe des Kauka Verlages bzw. des Carlsen-Verlages. Er soll eigentlich die Leserpost bearbeiten, fällt jedoch stattdessen meistens nur durch seine ausgefallenen, meist missglückten Experimente und Basteleien und durch seine Faulheit und Schläfrigkeit auf. Er wird als liebenswerter Chaot und verkanntes Genie dargestellt. In seiner Freizeit spielt er gerne Musikinstrumente, unter anderem Gitarre, Posaune und das absurd laute, von ihm erfundene 'Gaffophone' (deutsch: 'Gastophon' oder auch 'Brontosaurophon')."

Mit diesem Wissen wird die Aussage meiner Bekannten nun verständlich. Da schlurfen ihre Gedanken Gaston gleich in unglaublicher Schläfrigkeit durchs Gehirn. Unterbrochen wird diese denkerische Inaktivität immer wieder durch Lärm wie von einem "Brontosaurophon".

Ich erlebe aber auch, wie mir die Gedanken schneller kommen, als dass ich sie fassen kann. Als würde Speedy Gonzales, die schnellste Maus von ganz Mexiko, mit ihnen durch mein Gehirn flitzen.

Ist es nun besser, wenn Gedanken zur Ruhe kommen, oder wenn sie unglaublich flink unser Gedächtnis auffüllen, bis nichts mehr darin Platz findet? Wünscht du dir Ruhe im Kopf, oder lieber mehr bleibende Eindrücke? Lässt du die Gedanken kommen und wieder gehen, ohne ihnen nachzusinnen?

Im Psalm 139 ist es Gott, der unsere Gedanken kennt und prüft (Psalm 139,1-4.23-24): "Herr, du hast mich erforscht und kennst mich genau. Ob ich sitze oder stehe: Du weißt es. Meine Absicht erkennst du von fern. Ob ich gehe oder ruhe: Du merkst es. Alle meine Wege sind dir bekannt. Noch liegt mir kein Wort auf der Zunge, schon weißt du, Herr, was ich sagen will... Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz! Verstehe mich und begreife, was ich denke! Sieh doch, ob ich auf einem falschen Weg bin, und führe mich auf dem Weg, der Zukunft hat!"

Vielleicht huscht gerade Speedy Gonzales durch dein Gehirn, oder Gaston schlurft im Schneckentempo durch die Hirnwindungen. Kein Problem für Gott. Er kennt dein Denken und Fühlen, deine Sorgen und auch deine Leere. Gerade darum oder auch gerade trotzdem bleibt Gott an deiner Seite.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen