Sonntag, 6. April 2025

Verfolgung und Glaubensfreiheit

Ein Zitat

Jörg Niederer steht in der Täuferhöhle bei Bäretswil, da wo sich die Täufer während der Reformation heimlich zum Gottesdienst treffen mussten.
Foto © Sabine Möckli Niederer

"Die Religionsfreiheit umfasst auch das Recht, keiner Religion anzugehören, nicht an einen Gott zu glauben (Atheismus) oder religiöse Annahmen prinzipiell als unentscheidbar zu bewerten (Agnostizismus)."
Wikipedia

Ein Bibelvers - Galater 5,1

"Christus hat uns befreit, damit wir endgültig frei sind. Bleibt also standhaft und unterwerft euch nicht wieder dem Joch der Sklaverei!"

Eine Anregung

Gestern war ich wieder einmal in der Täuferhöhle Sie liegt versteckt im Wald am Rand der Gemeinde Bäretswil in der Schweiz. Dort also feierten die Täufer:innen heimlich ihre Gottesdienste, immer in Furcht, entdeckt zu werden. Denn Täufer:innen wurden über längere Zeit von den anderen Kirchen und dem Staat verfolgt. Einige von ihnen wurden hingerichtet.

Diese Zeiten sind vorbei. Ich bin froh, dass wir uns in der Schweiz nicht heimlich zum Gottesdienst treffen müssen, sondern bequem in einer geheizten und gut ausgestatteten Kirche. Nur vergesse ich auch nicht, dass es durchaus Christ:innen gibt in anderen Ländern, die ihr Leben riskieren, um Gottesdienste feiern zu können, oder die im Gefängnis landen. An sie will ich auch an diesem Sonntag denken und für sie beten. Überhaupt alle Menschen, die aus Glaubensgründen diffamiert, verfolgt, verstossen inhaftiert oder getötet werden, lassen mich nicht kalt.

Religionsfreiheit ist eine so wichtige Errungenschaft. Wir dürfen sie nicht aufs Spiel setzen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 5. April 2025

Versöhnung

Ein Zitat

Jugendliche drücken ihre Solidarität über Grenzen hinaus aus an der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung von 1997 in Graz.
Foto © Jörg Niederer
"Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es." Frère Roger (1915-2005)

Ein Bibelvers - 2. Korinther 5,19

"Ja, in Christus war Gott selbst am Werk, um die Welt mit sich zu versöhnen. Er hat den Menschen ihre Verfehlungen nicht angerechnet. Und uns hat er sein Wort anvertraut, das Versöhnung schenkt."

Eine Anregung

Mit der bevorstehenden Pensionierung miste ich auch meine Bücherschränke aus. Dabei kam ich gestern zu den Unterlagen der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung (2EÖV), die 1997 im österreichischen Graz stattfand. Ich durfte im Auftrag der Methodistenkirche daran teilnehmen. "Versöhnung" war das Thema. Nebst den intensiven Gesprächen und Begegnungen denke ich gerne an das abschliessende Fest zurück. Es war eine bunte, fröhliche, tiefgreifende Sache. Besonders viele Menschen aus Rumänien fanden sich dazu ein, nachdem die Visapflicht für dieses einstige Ostblockland weggefallen war.

Wenn ich aus Distanz heute zurückschaue, frage ich mich, wie viel von dieser Aufbruchstimmung und der Hoffnung auf Versöhnung geblieben ist. Die Zeit heile alle Wunden, sagt man. Doch ist es nicht auch so, dass die Zeit so manche Zuversicht zunichte machen kann. Überall sehen wir, wie Grenzen wieder aufgerichtet werden. Strafzölle sind das Thema in den Medien. Invasionsgelüste der Grossmächte bedrohen Freund und Feind. Menschen sterben an Kriegsfronten, darunter viele Zivilist:innen. Missbrauch ist das grosse Thema in den Kirchen. Zugleich verlieren die Religionsgemeinschaften in der westlichen Welt immer mehr an Einfluss.

Was ist von der Versöhnung geblieben? So habe ich mir den Neuanfang und die weitere Entwicklung nicht vorgestellt.

Ich glaube, es ist heute nötiger denn je, dass die Menschen des Glaubens zusammenzustehen, um das Wort von der Versöhnung mitten in der Welt zu leben, gegen alle Trends und Entwicklungen. Lassen wir die theologischen Differenzen beiseite. Das braucht niemand in diesen Tagen, in denen wir zur Hoffnung der Welt beitragen müssen, und dies mit aller Kraft und Ausdauer.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 4. April 2025

Vom Nikolaus und Flösserinnen

Ein Zitat

Auf der Aarebrücke bei Döttingen steht eine Statue des Heiligen Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Flösser.
Foto © Jörg Niederer
"Was nicht kommuniziert wird, ist nicht, und je mehr etwas kommuniziert wird, desto mehr ist es." Vilém Flusser (1920-1991)

Ein Bibelvers - Ezechiel 27.29

"Ruderer verlassen ihre Schiffe. Matrosen und Seeleute bleiben an Land."

Eine Anregung

Für einmal ist es nicht der heilige Nepomuk, dem auf der Brücke bei Döttingen ein Denkmal gesetzt ist, sondern dem bekannten Nikolaus von Myra. Was wie eine seltsame "Dächlikappe" aussieht, ist sein Kopf mit wallendem Bart. Er steht hier unterhalb des Klingnauer Stausees als Schutzheiliger der Flösser. In dieser Funktion wird er in unseren Breitengraden nur noch wenig zu tun haben. Die Flösser sind nahezu ausgestorben. Am Ägerisee gibt es sie noch. Sonst ist die Tradition lediglich in Form historischer Flossfahrten lebendig.

Dem heiligen Nikolaus geht dennoch die Arbeit nicht aus, ist er doch auch Schutzpatron der "Advokaten, Bäcker, Bierbrauer, Weinhändler, Metzger, Steinmetze, Jungfrauen und viele mehr". Interessant an dieser Aufzählung ist, wie die Frauen, von denen es auch Advokatinnen, Bäckerinnen, Bierbrauerinnen, Weinhändlerinnen, Metzgerinnen und Steinmetzinnen gibt, sichtbar werden: als Jungfrauen! Mir scheint, das generative Maskulin kann hier nicht wirklich auf neutrale Weise den Frauen gerecht werden. Nun haben die Frauen auch ihre eigene Schutzheilige. Es ist heilige Jeanne d'Arc, also die Frau, die einen Männerjob in der Armee hatte. Das Flössen war auch Männerarbeit. Sollte es Frauen in diesem Gewerbe gegeben haben, hätten sie die Wahl zwischen dem heiligen Nikolaus und der heiligen Jeanne d'Arc gehabt. Mir würde diese Auswahl nicht behagen. Doch wen würde ich mir als Vorbild und Fürsprecher:in wünschen?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 3. April 2025

Gewichtig

Ein Zitat

Gewichte im Turm der Reformierten Kirche Heiden treiben das Schlagwerk und die Turmuhr an.
Foto © Jörg Niederer
"Was wir an Liebe geben, verleiht unserem Leben Gewicht, was wir an Liebe bekommen, erleichtert es." Ernst Ferstl (*1955)

Ein Bibelvers - Hiob 31,6

"Gott soll meine Taten gerecht abwägen, dann wird er meine Unschuld erkennen."

Eine Anregung

Gewichte treiben den Glockenschlag und die Uhr der reformierten Kirche Heiden an. Im besteigbaren Glockenturm sind sie gut zu sehen. Der Messmer erklärte mir bei einer Führung, dass man diese Gewichte nach Änderungen beim mechanischen Geläut deutlich verringern mussten. Genau habe ich nicht verstanden, wie das zusammenhängt. Jedenfalls sind sie auch heutzutage noch nötig, diese Gewichte.

Gewichte als Antrieb: Es ist nicht immer so, dass dich das Schwere zu Boden zieht. Gewichte können dich auch weiterbringen.

In meinem ersten Beruf als Mühlenbauer spielten Gewichte in den Plansichtern eine wesentliche Rolle. Plansichter sind grosse Kästen, in denen auf vielen übereinanderliegenden Sieben das Mahlgut sortiert wird. Zentral angeordnet ist eine grosse Unwucht, welche durch Rotation diesen an elastischen Stangen aufgehängten Sichter in kreisende Bewegung versetzt. Dabei kommt es darauf an, das die Unwucht so präzise austariert wird, dass der Sichter möglichst perfekt rund läuft. Einseitige Belastung würde sonst das ganze System früher oder später zerstören. Als Lehrlinge erlebte ich, wie die Bestückung dieser Unwucht  mit Bleigewichten Chefsache war. Der Abteilungsleiter liess uns nicht an diese Arbeit. Wir durften alles machen, nur das nicht. Es war eben eine gewichtige Sache, in doppelter Hinsicht.

Es kann nun sein, dass mir etwas schwer auf der Seele liegt, oder dass mich eine Sache runterzieht wie eine grosse Last. Dann frage ich mich: Gibt es einen Sinn an dieser Schwere? Soll etwas in Bewegung kommen, in mir oder auch in anderen? Wie gewichtig ist, was gerade geschieht?

Zurück zu den Gewichten im Glockenturm. Ihre Bewegungen sind für das menschliche Auge viel zu langsam. Aber was wir sehen und hören können sind die Glocken, die durch sie zur richtigen Zeit in Schwingungen versetzt werden. Dazu gibt es Videos und Tonaufnahmen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 2. April 2025

Saublume

Ein Zitat

Der Löwenzahn blüht wieder leuchtend gelb.
Foto © Jörg Niederer
"Löwenzahn, Löwenzahn, / fängt jetzt rasch zu blühen an. / Kaum hat er begonnen: / Lauter gelbe Sonnen!" Aus einem Gedicht von Ilona Bodden (1927-1985)

Ein Bibelvers - 1. Mose 1,12

"Die Erde brachte frisches Grün hervor und Pflanzen, die Samen tragen. Sie liess auch Bäume wachsen mit eigenen Früchten und Samen darin. Und Gott sah, dass es gut war."

Eine Anregung

Der Löwenzahn blüht wieder. Bald wird er Felder und Wiesen gelb färben. Ursprünglich kommt die Pflanze aus Europa und Asien, ist heute aber auf der ganzen Nordhalbkugel verbreitet. In unserer intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaft ist der Löwenzahn allgegenwärtig. Da die Saublume nährstoffreichen Boden liebt, und ihr Nitrat auf gedüngten Wiesen auch willkommen ist, zeigt sie auch den menschgemachten Artenschwund in der Landwirtschaft an. Zugleich ist sie eine in allen Teilen essbare Pflanze, die auch aus gesundheitlichen Gründen zum Beispiel gegen Nierensteine verabreicht werden kann.

Was mir der Löwenzahl aber auch zeigt: Der Frühling lässt nicht mehr locker. Die Sonne scheint nun immer mehr von oben; und auch im Gelb des Löwenzahns von unten.

Hier ein Gedicht von Reiner Kunze (*1933): 


Warum sind Löwenzahnblüten gelb?

Das weiß jedes Kind. 

Weil Löwenzahnblüten Briefkästen sind.

Wer hat die Briefkästen aufgestellt?

Die grasgrüne Wiese.

Sie steckt in die Briefkästen all ihre Grüße.

Wem werden die Grüße zugestellt?

Das weiß jedes Kind.

Briefträger sind Biene und Wind.


Dem Löwenzahn sagt man auch Saublume. Vielleicht nicht nur, weil sie früher als Schweinefutter verwendet wurde, sondern auch, weil dort, wo die Schweine die Weiden mit ihren Ausscheidungen düngen, der Löwenzahn gerne erblüht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 1. April 2025

Warum nackt?

Ein Zitat

Steinmetz-Arbeit am GBS-Gebäude in der Kirchgasse in St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Eine Putte ist ein religiöses Symbol, das oft in der christlichen Kunst zu finden ist. Diese Figur zeigt meistens ein junges Engelsgesicht oder kindliches Wesen, das als Verkörperung der Unschuld und Reinheit dargestellt wird." Bibels Kirch

Ein Bibelvers - 1. Mose 3,7

"Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie banden Feigenblätter zusammen und machten sich Lendenschurze."

Eine Anregung

Ich wundere mich immer wieder über diese Vorliebe für nackte Kinder in der Kunst. Besonders eigenartig berührt es mich, wenn dann unbekleidete Buben und Mädchen als Verzierung an einem Gewerbeschulhaus zu sehen sind. Das ist ja nun wirklich kein Haus, in dem Kinder, ob bekleidet oder nicht, ein uns ausgehen. Heute sind in diesem Haus die Bauberufe untergebracht. Das gibt einen gewissen Bezug zur Architektur und zu Steinmetzarbeiten.

Auch Kirchen sind bevölkert mit nackten, kindlichen Putten, und auch da wundere ich mich. Sind das die Auswüchse einer Kompensation zeitgenössischer Prüderie; hat das etwas mit pädophilen Neigungen zu tun? Geht es um die Unschuld paradiesischer Nacktheit, wobei in den Darstellungen von Adam und Eva die Genitalien oft verschämt abgedeckt sind, während dies bei kleinen Kindern nicht nötig zu sein scheint?

Wie denkst du über die Nacktheit von Kindern in der Kunst und in der Kirche?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 31. März 2025

Johannes weiblich?

Ein Zitat

Geschnitzte Abendmahlsszene mit weiblich wirkender Person rechts neben Jesus.
Foto © Jörg Niederer
"Nichts kann geliebt oder gehasst werden, wenn es nicht zuerst verstanden wird." Leonardo Da Vinci (1452-1519)

Ein Bibelvers - Johannes 13,23

"Einer von seinen Jüngern, den Jesus besonders liebte, lag bei Tisch an der Seite von Jesus."

Eine Anregung

Leonardo Da Vinci war wohl der Erste, der eine Person mit weiblichen Zügen in die Darstellung des letzten Abendmahls einfügte. Das geschah zwischen 1494 und 1497, lange nach dem letzten Abendmahl selbst und nach den darüber vorhandenen ältesten Texten der Bibel. Warum also sollte, wie es der Autor Dan Brown und andere behaupten, Da Vinci mehr wissen? Ich denke eher, dass sich der Renaissance-Maler von den Texten der Bibel inspirieren lies, in denen ein Jesusjünger als "Jünger, den Jesus besonders liebte" bezeichnet wird, in denen also ein besonders inniges Verhältnis von Jesus zu - so nimmt man an - Johannes selbst herausgestrichen wird. Falls Johannes wirklich dieser von Jesus geliebte Jünger war, und das ist nicht ganz sicher, dann entspricht dies einem Selbstzeugnis des Evangelisten. Damit haben wir keine besonders gute und sichere Quellenlage, und es bleiben viele unangenehme Fragen offen, wie z.B.: Rühmt sich Johannes hier selbst als der, welcher von allen Jüngern Jesus am nächsten stand?

Interessant ist auch, dass nach Da Vinci eine grosse Zahl an Künstler:innen seiner Interpretation folgten und folgen, und eine Person, meist diejenige auf den Gemälden rechts neben Jesus, mit weiblichen Zügen darstellen. So auch der Holzbildhauer oder die Holzbildhauerin, welche das von mir fotografierte letzte Abendmahl als Miniatur geschaffen hat. Es steht als Schenkung auf einem Fensterbrett in der methodistischen Kapelle Diepoldsau. Da Vinci war also für die spätere Zeit stilbildend. Seit damals spekuliert man über Frauen an der Seite von Jesus, dichtet ihm sogar eine Maria Magdalena als Ehefrau an.

Ob es nun Maria Magdalena ist, die so an die Seite von Jesus gerückt wird, oder der Jünger, den Jesus liebte, also Johannes mit weiblichen Zügen, ist und bleibt unsicher. Eine Provokation war es auf jeden Fall in einer Zeit, in der Geschlechterrollen eindeutig männlich oder weiblich festgeschrieben waren. Genau das beabsichtigte wohl Leonardo Da Vinci: Er wollte gängige Vorstellungen herausfordern. Selbst heute sind Menschen von einem Mann mit weiblichen Zügen irritiert, genauso wie von einer Frau mit männlichen Zügen. Oder dann wird die männliche Vorherrschaft in Kirchen damit begründet, dass Jesus nur Männer als zwölf Apostel um sich gesammelt habe. Genau dies stellt Da Vinci mit seinem letzten Abendmahl vorsichtig in Frage. Es ist bei ihm nur eine Frauengestalt neben elf männlichen Jüngern. Das ging wohl gerade noch als künstlerische Freiheit durch in jener Zeit. Doch seit dem letzten Abendmahl von Da Vinci und dem Evangelium von Johannes kommt man nicht mehr um eine Frage herum: Was wäre, wenn Jesus einen Jünger mit weiblichen Zügen besonders geliebt hat? Für mich die grösste Herausforderung an dieser Frage ist, ob Jesus wirklich einen Jünger mehr geliebt und bevorzugt hat, vor allen anderen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 30. März 2025

Zwei Seiten

Ein Zitat

Blühende Kirschbäume vor der Offenen Citykirche Sankt Jakob in Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Man muss viel Liebe investieren, wenn Glaube sich entfalten soll, und man muss viel Freiheit riskieren, wenn die Kirche lebendig bleiben soll." Otto Dibelius (1880-1967)

Ein Bibelvers - Joel 2,1

"Blast ins Widderhorn auf dem Zion! Gebt Alarm auf dem Berg meines Heiligtums! Alle Bewohner des Landes sollen aufgeschreckt werden! Denn der Tag des Herrn kommt, bald ist er da."

Eine Anregung

Jetzt blühen sie wieder, die Kirschbäume. Wenn sie dann auch noch vor so schönem sakralem Gemäuer stehen wie vor der Offenen Citykirche Sankt Jakob in Zürich, schaut man doch gerne hin. 

Doch Fotos erzählen selten die ganze Wahrheit. Wer schon einmal vor dieser Kirche gestanden hat, weiss: So idyllisch ist es nicht, dort am Stauffacher. Wer sich von der Kirche um 180 Grad wegdreht, findet sich vor einer der betriebigsten Tramhaltestellen der Stadt. Auf den vorbeiführenden Strassen brummt der Verkehr, dieweil unweit die Langstrasse mit allerlei mehr oder weniger seriösen Vergnügungen lockt. Dort bei der Kirche trifft sich die Welt der Junkies und Obdachlosen mit den Geschäftsleuten und dem Ausgehvolk.

Ich finde, an keiner anderen Stelle sollte mittendrin die Kirche stehen und einladen zu tiefgründigeren, stilleren Momenten.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 29. März 2025

Abheben

Ein Zitat

Ein Höckerschwan fliegt entlang der Thur bei Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Droben rudert ein Schwan milchweiß schimmernde Bahn, hell das Gefieder von Sternen, zieht er durch himmlische Fernen, rudert nach Traumland voraus, sucht der Glückseligen Haus." Isolde Kurz (1853-1944)

Ein Bibelvers - Sacharja 5,1-2

"Als ich nochmals aufschaute, sah ich eine fliegende Schriftrolle. Der Engel fragte mich: 'Was siehst du?' Ich antwortete: 'Eine fliegende Schriftrolle. Sie ist zehn Meter lang und fünf Meter breit.'"

Eine Anregung

Ich kenne wenige Vögel, die sich für den Abflug so sehr abmühen müssen, wie die Höckerschwäne. Immerhin müssen sie dabei durchschnittlich um die 12-13 Kilogramm Körpergewicht in die Luft hieven. Dazu gehört die lange Anlaufphase, in der sie erst längere Zeit flügelschlagen über das Wasser laufen. Auch in der Luft gewinnen sie nur langsam an Höhe. Das Ganze geht nicht lautlos vonstatten. Weithin hörbar ist ein rhythmisch zum langsamen Flügelschlag passendes Windgeräusch.

Es kommt vor, dass es mir genauso geht wie einem startenden Schwan. Nur langsam komme ich auf Touren, nur langsam hebe ich ab, nur langsam gewinne ich an Zuversicht, nur langsam komme ich dem Himmel näher. Dann lastet die Trägheit auf mir und jeder reale Schritt, jeder Denkschritt verlangt nahezu übermenschliche Kräfte. 

Zugleich ist es eine Zeit grösserer Veränderungen. Ich werde am Ende dieses "Flugs" nicht mehr am Ausgangspunkt sein. Ich werde Neues sehen. Vielleicht stellt sich dann auch die Zufriedenheit ein, die auf dem Weg dorthin so wenig erfahrbar war. Darum ist es gut, sich abzuheben von der Normalität und dem Aussergewöhnlichen auf die Spur zu kommen.

Dem Schwan gelingt dieser Übergang in den Flug bei aller Schwerfälligkeit zugleich kraftvoll und voller Schönheit. Wie ist das, wenn ich mich aufzuschwingen versuche?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 28. März 2025

Marc Chagall in Zürich

Ein Zitat

Das Jakobs- Christus- und Zionsfenster von Marc Chagall im Fraumünster Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Dieses Buch (die Bibel) ist Geschichte und gleichzeitig ist es auch ein Roman, an manchen Stellen ist es reine Poesie. Es ist eine Tragödie, aber oft auch sehr komisch. Nimm zum Beispiel diesen David, er ist nicht so ganz anständig. Er hat ja so viele umgebracht." Marc Chagall (1887-1985)

Ein Bibelvers - Lukas 23,47

"Der römische Hauptmann sah genau, was geschah. Da lobte er Gott und sagte: 'Dieser Mensch war wirklich ein Gerechter.'"

Eine Anregung

Heute vor 40 Jahren starb Marc Chagall im Alter von 97 Jahren. Seine Werke sind auf der ganzen Welt zu finden, auch in Zürich. Dort besuchen jährlich um die 150'000 Tourist:innen das Fraumünster, um ein Alterswerk des Künstlers zu bestaunen. Damit sie vor den fünf Glasfenster meditieren können, müssen sie fünf Franken Eintritt hinlegen. Das sind die Glasmalereien allemal wert. Ihre Leuchtkraft, die besondere Farbgebung, die Gestaltung der Motive erfüllen das Innerste der Betrachtenden.

Besonders bewegt hat mich, dass Marc Chagall im gekreuzigten Christus das "Sinnbild für die verfolgten und ermordeten Juden schlechthin" entdeckte. Chagall schuf ab den 1930er Jahren zahlreiche Bilder des Gekreuzigten.

Mehr über Marc Chagall und die berühmten Glasmalereien in Zürich erfährt man in einem heute erschienen Beitrag von Jens Bayer-Gimm auf ref.ch.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen